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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt
Autoren: Cherry Wilder
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„der Abgesandte ist einer der Besten.“
    Ein großer Teil dessen, was ich tat, stammte von dem Alten Horn. Er war ein komischer Kauz; er war tatsächlich „einer der Besten“. Sein Wille, seine Freiheitsträume brachten mich auf einen langen seltsamen Weg, nämlich bis zu den Feuerinseln.
    Da war noch eine andere Waise in Horns Haus. Len war männlich, älter als ich, und ich liebte ihn so, als wäre er mein echter Verwandter. Ich lief ihm nach und freute mich, wenn er mich in seinem Karren mitfahren ließ. Er kam mir enorm stark und klug vor. Heute kann ich erkennen, daß er immer unzufrieden war. Er erinnerte sich an seine eigene Familie und erzählte mir lange Geschichten von ihr.
    Es kränkte Len, ein „Kind der Stadt“ zu sein, er fühlte sich dadurch entehrt. Wenn Len mir von seinem Haus, dem guten Essen, den gewebten Bildern, den Matten, den Fahrten zu den Jahrmärkten am Datse erzählte, wurde ich irgendwie auch unzufrieden. Ich erinnerte mich an meine Eltern: ich erinnerte mich, wie ich mich im Schlafsack eifrig aufsetzte, wenn diese zwei jungen Leute mit ihren Tragkörben ins Zimmer traten. Außerdem hatte ich eine schlimme Erinnerung, die zu einem Alpdruck wurde. Ich setzte mich in der Dunkelheit des frühen Morgens auf und niemand kam. Ich saß stundenlang allein da, denn die Nachbarn setzten keinen Fuß ins Haus, weil es verflucht war. Ich blieb mit nur kurzem Klopfen und flüchtigen Schritten draußen vor der Tür allein.
    Einmal, als ich an diese schlimme Zeit dachte, rannte ich zu Morritt, die am Herd saß und Fischernetze für wenig Entgelt ausbesserte. Ich umarmte sie und sagte: „Bin ich immer in diesem Haus gewesen?“
    Sie schaute mich merkwürdig an, was kaum zu ihrem fetten, fröhlichen Gesicht paßte. „Du bist der Fisch, der uns ins Netz ging“, sagte sie. „Du wurdest von dem warmen Südwind in Horns Haus getrieben.“
    „Schlacke!“ murrte der Alte Horn, der seine Bara-Samen kaute. „Schlacke und Asche! Die Kleine weiß genau, wie sie hierhergekommen ist.“
    „Glaubst du etwa, daß nur du in diesem Haus spinnen kannst?“ fragte Morritt grinsend.
    In dem Dunkel hinter dem Herd saß Len und beobachtete uns stumm.
    Als er vierzehn und ich neun war, schiffte er sich auf einem Salzschiff ein, das weit über Rintoul hinaus regelmäßig verkehrte. Er versprach, zurückzukommen und Morritt eine schöne Matte und einen Sack Salz mitzubringen, aber wir haben ihn nie wiedergesehen. Ich war traurig und hoffte ein ganzes Jahr lang auf seine Rückkehr. Der Schmerz und das Warten wurden Teil meiner selbst; eine Einsamkeit lag hinter meinen Augen, die mich von anderen Leuten etwas fernhielt. Ich glaubte, daß alles Gute enden müsse, daß jedes geliebte Wesen mir genommen und nicht zurückkehren werde. Es gab einen Kinderreim, den wir an Sommerabenden in den Straßen sangen und dessen Refrain so wahr in meinen Ohren klang:
     
    „ To wel welangar,
    To tsa ulstarn.“
     
    „Jeder große Baum welkt dahin,
    Jedes Feuer erlischt.“
     
    Im Sommer rannte ich wild in den versengten Straßen herum; im Winter diskutierte ich am Feuer mit dem Alten Horn. An vier von fünf Vormittagen ging ich im Freien Rund an dem Kanaldamm zur Schule, wenn man das so nennen darf. Mit dreizehn war ich die größte in meiner Gruppe. Die Anwerber kamen, und ich meldete mich für die Neue Grube. Der Alte Horn hatte etwas Besseres erhofft: eine Silberschmiedlehre oder eine Stelle bei einem Steinhauer. Ich war glücklich, die Schule zu verlassen und ging beschwingt mit meinem neuen Tragkorb zu der Neuen Grube – die schon fünfzig Jahre alt war.
    Vier Jahre arbeitete ich in der Neuen Grube, bis das Glück mich verließ, und es waren die glücklichsten Jahre in meinem jungen Leben. Ich hatte meine Freunde, meine Arbeitsgefährten, und ich konnte meiner Familie Lohn bringen. Tatsächlich erwarben wir Matten, aßen gut und machten dann und wann eine Fahrt.
    Wir besuchten die Jahrmärkte am Datse und den Alten Park der Tsatroys. Dort sah ich die Blumenteiche und die Menagerie; ich wandelte mit meinen Verwandten durch die weiten Höfe des alten Palastes und legte Glücksbänder auf jene zwei weißen Gedenkstätten, auf die Hügelgräber von Tel und Geran, den jungen Kindern der wahnsinnigen Elbin Tsatroy. Ich feierte die Feste der Feuerstadt mit: ich tanzte den Großen Reigen im Frühling und sah dem Entzünden der Neujahrsfackeln zu.
    In der Mine fing ich mit Laden an, aber schon bald kam ich zum Schleppen. Morritt,
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