Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt
Autoren: Cherry Wilder
Vom Netzwerk:
die die Tricks des Fachs kannte, ölte meine schmerzenden Muskeln ein und päppelte mich mit kräftigem Essen auf. Ich aß Eierpastete, Pökelfleisch, Fischkroketten … ja sogar „Roten Teufel“. Das ist eine Art mit Feuerkräutern gewürzte Blutwurst; sie wird aus dem Fleisch des Buschwildes hergestellt, das am Datse gezüchtet wird, und ist ein Luxus … ein faustgroßer Batzen.
    In unserem Haus wurde fest angenommen, daß ich eine Omor werden würde … eine Arbeiterin, die kein Kind in ihrem Beutel trägt und keine Familie findet. Es ist hier in Tsagul und im übrigen Torin viel Unsinn über die Omors verbreitet worden. Die Buschweber finden ein kinderloses weibliches Wesen ein ziemlich sonderbares Geschöpf; die anderen Stadtarbeiter sind neidisch auf die Kraft der Omors. Sie tuscheln über Geheimkulte und Zauberriten.
    Ich möchte dazu sagen: jeder kann stark werden, wenn er im richtigen Alter gut ernährt und trainiert wird. Der große Zuwachs an Kraft und Muskeln tritt oft auf, wenn ein Arbeiter vom Lande in die Stadt kommt und andere Arbeit verrichtet und Stadtnahrung ißt. Daraus entstehen starke Muskeln, und kräftig möchte man sein, das ist der eine Teil. Der andere Teil für eine Omor ist nicht Magie, sondern Medizin, was auch immer die Schreiber darüber verzapfen mögen.
    Die Omors haben Untergilden oder Kreise, in denen ungefähr Sechzehnjährige eine Mischung aus zwei Kräutern, den Trank namens Wotten, gereicht bekommen. Er bewirkt Unfruchtbarkeit; nach einem Jahr ist die Wotten-Trinkerin ihr Leben lang eine Omor. Sie wird nie ein Kind gebären, um es in ihrem Beutel zu tragen. Das läßt ein oder zwei Fragen unbeantwortet. Eine Omor darf einen Gefährten nehmen oder sich einer Familie anschließen, aber sie darf auch ohne einen Gefährten leben wie die Einsiedler in der Wüste. Es ist nicht ganz eine Frage der Wahl … es ist eine Wahl weit über unser Blickfeld hinaus. Mein Glück verließ mich jedoch, ehe ich die Wahl treffen mußte. Ich hatte im Blauen Kreis nur einen Wotten-Becher getrunken, nicht mehr, im Blauen Kreis der Omors, die in der Neuen Grube arbeiteten.

 
2
     
    Ich war über sechzehn nach meinem Erscheinen, groß und kräftig. Ich war vom Schleppen zum Zerhacken im Lager versetzt worden und betätigte manchmal die Zerstoßer. Ich hatte zwei Freunde, Warkor und Clee, und wir arbeiten als Team. Clee war ungefähr gleichaltrig mit mir, er war hager und dunkelhaarig und hatte einen starken Willen; Warkor sorgte für uns beide – sie nannte uns ihre Kitzen. Ich denke gern an diese beiden, aber ich erinnere mich auch an einen anderen Grubenarbeiter: an Tenn den Aufseher.
    Er war ein riesiger Rohling, der uns das Leben zur Hölle machte. Jeder wußte, daß Tenn eine gemeine Kreatur war. In der Nähe unseres Stollens lag eines Tages ein lockerer Stapel und bei dessen Abtragen wurde gebummelt. Es kam zu Wortwechseln, die in Streit und dann fast in einen Aufstand ausarteten. Unser Team war eigentlich nicht daran beteiligt.
    Einen Augenblick stand ich mit meinen Teamgefährten da, hielt meinen Tragkorb fest und kümmerte mich um meine eigenen Angelegenheiten, im nächsten Augenblick erschienen die Aufseher, „um wieder Ordnung zu schaffen“. Tenn begann Clee mit seinem Peitschenstiel zu schlagen; ich packte einen Stein und versetzte Tenn einen Hieb. Ich kann immer noch die Wucht des Hiebes spüren; ich wußte sofort, daß Tenn schwerverletzt, vielleicht sogar tot war. Mein Glück hatte mich verlassen.
    Ich schreibe das nicht gern nieder. Die Feder zittert in meiner Hand. Mir läuft es vor Angst noch immer kalt über den Rücken, und ich sehe noch die Gesichter meiner Kameraden an diesem winterlichen Morgen vor mir. Ich sehe noch immer den blutigen Stein vor mir, den ich weggeworfen hatte. Ich fühle mich noch immer bitter beschämt, Tenn verwundet zu haben. Er war Tenn Tennroy an, das Familienoberhaupt, ein Grubenarbeiter wie ich. Wie kann ich ihn als Rohling bezeichnen, wenn ich selbst einer bin? Ach, es war ein Mißgeschick, ein Meteor, ein Knoten im Lebensfaden, aber ich war tief entehrt und hatte das Gefühl, daß mein eigenes Leben sich dem Ende näherte.
    Ich vermochte mich nicht von der Stelle zu rühren, während Tenn fortgetragen wurde; ich wurde verhaftet und erst zu dem „Rasthaus“ der Grubenarbeiter, dann ins Stadtgefängnis abgeführt. Tagelang zitterte ich trotz der Extradecke, die Morritt mir gebracht hatte, und starrte die Wand an. Ich kann mich nicht mehr daran
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher