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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt
Autoren: Cherry Wilder
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drei oder vier Tagen, Hoheit.“
    „So schnell? Ein Segelschiff braucht dreißig Tage von Rintoul nach Tsabeggan.“
    „Länger, wenn der Wind schlecht steht.“ Mattroyan grinste. „Hoheit … das wird ein ungewöhnliches Unternehmen sein …“
    „Ganz ungewöhnlich“, stimmte ihm Tiath bei, „aber Ihr werdet angemessen dafür belohnt werden. Setzt Euch, Kaufmann Mattroyan; wir müssen jede Einzelheit meines Plans überprüfen. Ammur?“
    „Wir sollten, mit Verlaub“, sagte die Oberhofmeisterin, „vielleicht vor Beginn dieses Abenteuers die Omen lesen.“
    „Ausgezeichnet!“ sagte der Große Älteste.
    Ammur brachte eine Schale aus so altem und glattem dunklem Holz, daß es sich schwer sagen ließ, ob es geschnitzt worden oder ob es ein sehr großer Kürbis war. Sie war bis zum Rande mit kurzen Stoff streifen jeglicher Farbe und Faser, von denen manche bestickt waren, gefüllt. Ammur stellte sie auf einen Schemel zwischen Tiath und den Kaufmann und hob einen dicken bernsteinfarbenen Harzstab in die Höhe.
    „Lest Ihr Omen vor einer Reise?“ fragte Tiath.
    „Natürlich, Hoheit“, sagte Mattroyan. „Ich benutze meistens Windblütenblätter oder Sand. Dieser Harzstab und diese Schale sind sehr schön …“
    „Ein alter Schatz …“
    Die Ningan rieb den glänzenden Stab emsig mit einem schmalen Lappen aus Tierfell und steckte ihn in die Schale. Als sie den Stab wieder herauszog, war er besät mit bunten Stoffstreifen; die Ningan schüttelte ihn einmal, zweimal, bis nur noch einige Streifen übrigblieben. Sie zupfte diese Stück für Stück von dem Stab und las ihre Bedeutungen in eindringlichem Singsang.
    „Günstiger Wind, wechselnder Wind, die Zahl Sieben, Freundschaftsgaben, Feuer-Metall-Magie …“
    „Geht das aus ihnen hervor?“ fragte der Große Älteste.
    „Hier ist der Streifen.“
    „Vielleicht ist er für die Esnar“, murmelte Mattroyan.
    „Ja, vielleicht.“
    „Ein guter Fang“, fuhr die Ningan fort, „oder wir können daraus auch lesen: ‚ein erfolgreicher Plan’. Und zwei ‚wilde Streifen* am Ende des Stabes.“
    „Was bedeutet die Stelle, an der sie sich befinden?“ fragte der Kaufmann.
    „Daß etwas vielleicht geschieht oder nicht geschieht“, sagte Ammur Ningan.
    „Lies!“ sagte Tiath.
    „Ein Toter“, sagte Ammur leise, „und ein Seefahrer.“
    „Diese Warnung ist einfach genug“, sagte Tiath amüsiert. „Gebt acht, daß keiner von Eurer Mannschaft über Bord fällt, Mattroyan. Kein Toter darf unseren Plan durchkreuzen.“
    Ammur stellte den Harzstab und die Schale beiseite. Dann begannen alle drei, der Große Älteste, die Oberhofmeisterin und der Kaufmann, ihr Gespräch. Der Klang ihrer Stimmen setzte sich fort und fort, ein natürlicher Klang wie der Nachtwind, der sich um die Wolkenkratzer der Stadt wand.

 
Eine Neue Stimme
     
1
     
    Dorn, der junge Schreiber, hat mich gebeten, ihm die Geschichte von meiner Zeit auf den Inseln zu erzählen. Ich will erklären, wie ich dahin gelangte und wer mit mir über das Große Meer fuhr; ich will die merkwürdigen Wesen beschreiben, die wir dort antrafen. Sie waren keine Moruianer, auch keine Teufel oder Geisteshelden, sondern eher sind sie Wesen „von neuer Prägung“ oder „von anderem Muster“, uns irgendwie ähnlich. Wenn ich so über sie rede, klingt das zu kühl: sie sind meine Freunde Karin-Ru, Lisa und Sam Deg. Ihr vierter im Bunde, den sie als tot betrauern, ist Scott Gale, der in den Bergen zwischen anderen Moruianern abstürzte und sich der Familie namens die Fünf von Brin anschloß.
    Dorn Brinroyan sagt mir, daß all das zu der Geschichte unserer Welt Torin gehört. Er arbeitet fleißig an diesen Geschichten; ich habe ihn in seinem Turmzimmer in der Neuen Akademie sitzen und sich nach den Bergen sehnen sehen, während er von ihnen erzählt. Wenn das die Arbeit eines Schreibers ist, dann bin ich gar nicht sicher, daß ich der passende Deckel auf diesen Topf bin … aber andererseits habe ich viele Stunden mit lästiger Arbeit verbracht.
    Meine Stimme ist eine neue. Ich kann nicht von den Bergen, vom Troon und seinen wilden Geschöpfen reden. Ich habe mich nicht lange in der „herrlichen hoch-gewobenen Stadt Rintoul“ aufgehalten. Ich war kein Angehöriger einer Fünf, ich webte nicht; ich würde nicht die alten Traditionen unserer Welt, „die alten Fäden“ kennen, wenn ich im Dunkeln über sie stolpern sollte. Ich bin eine Grubenarbeiterin, ein Kind von Grubenarbeitern. Ich heiße Yolo Horn.
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