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Mein Freund Jossele

Mein Freund Jossele

Titel: Mein Freund Jossele
Autoren: Ephraim Kishon
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Die Stunde der Wahrheit ist gekommen: Ich muss gestehen, dass ich eine Schwäche für Schwindler und Hochstapler habe.
    Eigentlich dürfte das niemanden überraschen. Der Beruf des Humoristen hat ja mit dem des Schwindlers vieles gemeinsam. Beide leben von der menschlichen Dummheit, beide machen sich die Schwächen der Bürokratie zunutze, spekulieren auf häuslichen Zwist, auf Eitelkeit und Heuchelei, auf die Spannung zwischen Individuum und Gesellschaft - beide, der Schwindler und der Humorist, begehen ihre kriminellen Handlungen auf intellektueller Basis, der eine durch Taten, der andere mit Worten, zwei Halunken von gleicher Wesensart, zwei Brüder im Geiste.
    Ich habe zu den professionellen Betrügern schon in meiner Kindheit verehrungsvoll aufgeblickt und halte einem begabten Schwindler noch heute die Daumen, wenn er von der Interpol rund um den Erdball verfolgt wird. Während andere Kinder davon träumten, zum Mond zu fliegen oder sich mit einäugigen Piraten siegreich zu duellieren, beschäftigte sich meine Phantasie mit dem Verkauf von unbrauchbaren Donaubrücken an gutgläubige Touristen. Dass ich es in Wirklichkeit niemals zu etwas dergleichen gebracht habe, liegt nicht etwa an meinen moralischen Skrupeln, sondern einfach an meiner Feigheit und an meinem mangelnden Talent für Betrügereien, die etwas einbringen. Das ist sehr schade, denn ich besitze andererseits eine ausgeprägte Neigung, Menschen zu beobachten und Beweise ihres Herdeninstinktes aufzuspüren. Ich war zehn Jahre alt, als ich entdeckte, dass man an jeder beliebigen Straßenecke eine beträchtliche Menge von Passanten versammeln kann, wenn man mit ein paar gleichaltrigen Freunden stehenbleibt und angestrengt in den Himmel starrt. Als Zwölfjähriger unternahm ich mit den führenden Mafiosi meiner Schulklasse einen Gemeinschaftsausflug in den Budapester Lunapark (er hieß anders); wir bestiegen die Geisterbahn, sprangen während der verlangsamten Fahrt im finsteren »Gewölbe des Schreckens« ab, verteilten uns hinter eine Eule, ein drohend schwankendes Skelett und einen Erhängten, warteten den nächsten Geisterzug ab und ohrfeigten die Vorüberfahrenden. Sie wagten nicht einmal zu kreischen.
    Mit besonderem Vergnügen erinnere ich mich einer Ansprache an meine Mitschüler, ein Jahr später:
    »Wer nach Schluss des Unterrichts eine Doppelportion Himbeereis haben möchte, bleibt im Klassenzimmer!«
    Neunzehn von den zweiunddreißig Schülern blieben. Ich zählte sie sorgfältig ab.
    »Mehr, als ich dachte«, sagte ich befriedigt.
    »Wo ist das Himbeereis?« riefen sie.
    »Himbeereis? Mich hat nur die Statistik interessiert.« Dann rannte ich weg, so schnell ich konnte.
    Und das Telefon! Was ist das doch für ein ergiebiges Instrument! Nehmen wir die Sache mit Mathilde. Ein wahrhaft unvergessliches Erlebnis! Kurz vor Mitternacht - ich war damals schon aufgeklärt - verließ ich mein Bett, um unseren Wohnungsnachbarn anzurufen. Auf sein schläfriges
    »Hallo« flüsterte ich mit erotisch verhängter Stimme den Namen seiner Frau in die Muschel:
    »Mathilde?«
    »Wer spricht?« brüllte der jählings Erwachte. »Wer ist das?«
    Ich legte auf, lehnte mich zurück und lauschte behaglich der lärmenden Auseinandersetzung, die jenseits der Wand zwischen dem Ehepaar losbrach. Bei solchen Gelegenheiten habe ich viel über die Dinge des Lebens erfahren.
    Mit sechzehn stand ich in frohem Briefwechsel mit zahlreichen Bewerbern, die das folgende, von mir stammende Inserat beantwortet hatten: »Junge, attraktive Witwe sucht Partner, der sie auch in Finanz- und Investitionsfragen beraten würde . . .«
    Das waren meine ersten literarischen Versuche. Nicht lange danach, in der Nazizeit, entwickelte ich meine Fähigkeit zu schwindeln weit genug, um mir das Leben zu retten - aber das ist eine andere Geschichte für ein anderes Buch.
    Jetzt reiche ich die Fackel an meinen jungen Freund Jossele weiter, der all das, wovon ich träume und wofür ich mich doch schon etwas zu alt fühle, in die Praxis umsetzt. Durch ihn werde ich wieder jung. Ich liebe und bewundere ihn. Gewiss, er ist ein Taugenichts, ein Tunichtgut, ein Außenseiter der Gesellschaft. Aber die Art, wie er sie für seine Zwecke ausnützt und aus ihren Schwächen Kapital schlägt, ist so witzig und einfallsreich, dass ich mich manchmal frage, wer ihm diese brillanten Ideen eingibt . . . Offenbar hat sich Jossele von mir unabhängig gemacht, führt ein Eigenleben und dreht mir hinter meinem Rücken
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