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Mein Freund Jossele

Mein Freund Jossele

Titel: Mein Freund Jossele
Autoren: Ephraim Kishon
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schicksalsschweren Worte geäußert hatte: »Meiner Meinung nach wird es nächstes Jahr noch schlimmer werden.«
    Da ihm niemand das Gegenteil beweisen konnte, trat allgemeine Stille ein. Die kulleräugige Dichterin öffnete den Mund, besann sich jedoch rechtzeitig auf Josseles Theorie und presste die Lippen zusammen. Auch aus den Gesichtern der anderen Gäste sprach grimmige Entschlossenheit, nicht als Retter des Abends zu fungieren.
    Die Sekunden schlichen dahin. Jossele gab mir mittels Mienenspiels zu verstehen, dass ihn der Erfolg seines Tests befriedigte. Die Adern an Weinrebs Schläfen schwollen an, aber er schwieg.
    Eine Minute war vergangen. Eine kleine Ewigkeit. Benzion Ziegler atmete schwer, Glick sog krampfhaft an seiner Pfeife, die Augen der Kulleräugigen kullerten. Eine Minute und vierzig Sekunden.
    Als der berühmte Rechtsanwalt sich räusperte, blickten alle nach ihm und mussten sich enttäuscht wieder abwenden, denn es blieb beim Räuspern. Auf vielen Stirnen erschienen Schweißtropfen.
    Drei Minuten. Weinreb, der einem Zusammenbruch nahe war, erholte sich und rettete nicht.
    Viereinhalb Minuten dumpfen Schweigens. Ich möchte so etwas kein zweites Mal erleben. Fünf Minuten. Mir wurde schwindlig. Ich wankte. Jossele sah es und machte mir ein Zeichen. Auf Zehenspitzen schlichen wir hinaus. Seither haben wir keinen von Weinrebs Gästen wiedergesehen.
    Wäre es denkbar . . . dass sie . . . noch immer . . .

Zur Entlastung des Steuerzahlers
    Jossele nahm einen Schluck aus seinem Espresso und starrte vor sich hin. Die Welt außerhalb des Kaffeehauses war nass und grau, die Menschen, die draußen vorbeihasteten, kämpften gegen den Wind und gegen die Fabrikationsfehler ihrer Regenschirme. »Wie Affen im Käfig«, brummte Jossele.
    »Wirklich trostlos. Aber es ist ja kein Wunder. Versuchen mit einem Zweiwochengehalt den ganzen Monat auszukommen ... die Frau keppelt ... die Kinder schreien nach Kaugummi . . . und nirgends eine Erleichterung in Sicht. . .«
    »Aber was soll man tun?« Ich fühlte mich gedrängt, die Regierung zu verteidigen. »Wenn man die Löhne erhöht, haben wir die schönste Inflation.«
    »Unsinn«, replizierte Jossele. »Es gibt genug andere Wege, das Los des kleinen Mannes zu verbessern. Denken wir nur an die Post. Warum ist es noch immer ein Geheimnis, dass man Briefe auch ohne Marken verschicken kann?«
    »Unfrankiert?« fragte ich ungläubig.
    »Ganz richtig. Unfrankiert. Nehmen wir an, ich will dir einen Brief schreiben. Jetzt glaubst du natürlich, ich müsste ihn an dich adressieren. Falsch! Statt deiner Adresse schreibe ich meine auf den Briefumschlag, und zwar eine sehr weit entfernte, zum Beispiel: Senor Jossele, 103 Avenida de los Caballeros, Buenos Aires, Argentina. Und links unten, wo der Absender steht, kommt deine Adresse hin: Absender Ephraim Kishon Afeka. Was geschieht? Auf dem Postamt sehen sie, dass der Brief nicht frankiert ist, und schicken ihn mit einem Stempel, der dich zur Bezahlung des Portos auffordert, an dich als den vermeintlichen Absender zurück. Kapiert?«
    »Ein hervorragender Einfall.« Ich nickte bestätigend.
    »Und verstößt gegen kein mir bekanntes Gesetz. Soll ich ihn veröffentlichen?«
    »Du musst. Es ist deine Pflicht, dem Steuerzahler in diesen schweren Zeiten zu kleinen Einsparungen zu verhelfen.«
    Hiermit verholfen.

Neue Wege zum Geschichtsunterricht
    Die Reform des Geschichtsunterrichts nahm über zwei Kognaks ihren Anfang. Jossele und ich hatten ganz gegen unsere Gewohnheit über die Inflation gesprochen, und von da war es nur ein Schritt zu Napoleon. Im Gegensatz zu Josseles Behauptung, Napoleon sei 1883 imamerikanischen Exil an Bord der »S. S. Helena« gestorben, stand für mich fest, dass er viel früher gestorbenwar, aber wie sehr ich mir das Hirn zermarterte - dasgenaue Datum wollte mir nicht einfallen. Ich rief Gusti,den Cafetier, an unseren Tisch und fragte ihn, was erüber die Angelegenheit wisse. Nach angestrengtem
    Nachdenken erklärte Gusti, das Todesdatum Napoleonssei ihm nicht erinnerlich, wohl aber die Seite des Geschichtslehrbuchs für den zweiten Jahrgang derMittelschulen, auf der das Datum angegeben war, Seite 147 , Zeile 2 von unten, und er könne sich deshalb so genaudaran erinnern, weil er auf dieser Seite eine kunstvolle surrealistische Zeichnung untergebracht hatte, darstellend den Popo des
    damals von ihm geliebten Mädchens, mit Zöpfen.
    »Da haben wir's!« rief Jossele aus. »Die Seitenzahlen! Das ist die
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