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Das Ekel von Datteln

Das Ekel von Datteln

Titel: Das Ekel von Datteln
Autoren: Leo P. Reinhard; Ard Junge
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Zeitunglesen erreicht, und er war in der Montur losgejagt, in der er in normalen Zeiten auch seinen Dienst versah. Dieser Samstag aber war alles andere als normal, und während seine Frau ihm einen Uitsmijter anrührte, stieg er aus seinem Tropenhemd und den Jeans in die dunkelblaue Uniform um. Er war noch nicht ganz fertig, da klingelte das Telefon.
    »Henk? Leeuwarden war dran«, meldete Visser. »Die Recherche schickt sofort drei Mann mit einem Bölkow los. Wir sollen sie in einer halben Stunde am Landeplatz abholen …«
    »Gut. Nimm den Wagen und bring sie zum Hotel. Ich fahre mit dem Rad.«
    Hoekstra widmete sich nun dem Rührei mit Schinken, trank ein Glas Tee und rüstete zum Aufbruch.
    »Es kann lange dauern«, sagte er zu seiner Frau, die ihm in die Jacke half und ein paar unsichtbare Flusen von den Schultern zupfte.
    »Ich hoffe, ihr kriegt ihn!«, entgegnete sie. »Mord auf Vlieland – das ist wirklich schrecklich.«
    Er nickte und küsste sie. Den Hinweis, dass ein Mord immer schrecklich sei, verkniff er sich. Lena hatte ja recht: Ein solches Verbrechen hatte nur in Städten wie Amsterdam den Schrecken des Außergewöhnlichen verloren.
    Hoekstra verließ das Haus, ging durch den Vorgarten zur Wache und warf einen Blick ins Sekretariat, wo Lissy ein dringendes Privatgespräch führte. Als sie ihn sah, deckte sie die Sprechmuschel ab.
    »Kannst du heute ein paar Stunden länger bleiben?«
    Sie nickte zögernd, sah aber nicht begeistert aus. Auch sie hatte nach der Brandgeschichte schon jede Menge Überstunden auf dem Konto.
    »Du feierst sie ab, wenn das hier vorüber ist. Ehrenwort!«
    »In Ordnung …«
    Er steckte den Ausweis der Toten in einen Umschlag und fuhr mit dem Dienstrad ins Dorf. Wouters Fotogeschäft lag schräg gegenüber dem Rathaus. Vier Kunden waren vor ihm dran, darunter ein älteres Ehepaar, das er schon öfter auf der Insel gesehen hatte. Die Gründlichkeit, mit der die beiden den Ständer mit den Ansichtskarten durchkämmten, ließ Hoekstra Böses ahnen. Er drängte sich an ihnen vorbei: »Entschuldigen Sie, aber es ist dringend und geht schnell. Darf ich?«
    Wouter sah ihn gespannt an. Er war ein nicht sehr großer, kräftiger Mann mit dichtem dunklen Haar, der allmählich auf die Fünfzig zuging. Er betrieb nicht nur den Fotoladen, sondern hatte auch fast die gesamte PR-Arbeit der Gemeinde in der Hand.
    Hoekstra reichte ihm den Umschlag: »Von dem Foto brauche ich ein Dutzend Abzüge. In einer Stunde …«
    Wouter schielte hinein und runzelte die Stirn. Er wartete auf eine Erklärung. Aber der Polizist dachte nicht daran, vor den Fremden das böse Wort in die Welt zu setzen, das ihm auf der Zunge lag.
    »Kennst du Eynte Harmens?«, fragte er endlich. »Das ist eine gute Bekannte von ihm …«
    Wouter verschlug es die Sprache. Den Mann konnte er gar nicht kennen. Denn Eynte Harmens war lange tot. Am 16. August 1807 hatte man ihn vor dem alten Rathaus von Vlieland gerädert und gekreuzigt. Weil er ein halbes Jahr zuvor, in der Nacht zum 27. Februar, die Witwe Jannetje Prangers um 38 Gulden beraubt und mit einem Pflasterstein erschlagen hatte. Das war der letzte Mord, den die Inselchronik seit 180 Jahren verzeichnete.
    Plötzlich begriff der Fotomensch. »Wann?«, fragte er.
    »Heute Nacht. Alles Weitere erzähle ich dir, wenn ich die Fotos abhole …«
    »Geht in Ordnung«, versprach Wouter, den Blick in weite Fernen gerichtet. Hoekstra vermutete, dass er in Gedanken schon den Exklusiv-Artikel für den Harlinger Courant formulierte.
    Als der Oberwachtmeister sich auf sein Dienstrad schwang, fiel sein Blick auf Bakkers Tabakladen. Die schwarz-gelbe Camel- Reklame über dem Eingang leuchtete herüber. Seit er keine Langstrecken mehr lief, gönnte er sich ab und zu einen guten Zigarillo. Heute war so ein Tag, an dem er wieder einen brauchte.
    Er schob sein Rad hinüber und stellte es an der weißgetünchten Hauswand ab. Im Laden war es angenehm kühl. Hinter der Theke stand Gerrit, der in Leiden irgendetwas Kompliziertes studierte, was er als Erbe dieses Ladens garantiert nicht gebrauchen konnte. In den Semesterferien zeigte er den Mädchen vom Zeltplatz die einsamsten Stellen der Insel.
    »Siehst ziemlich blass aus«, stellte Hoekstra fest. »Solltest weniger arbeiten.«
    »Ach«, meinte der Junge, »die Tage sind gar nicht so schlimm. Aber die Nächte …«
    Hoekstra feixte mit, ging hinaus und kletterte wieder auf das alte Sparta-Rad. Gemächlich schaukelte er die wenigen Meter zu
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