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Das Ekel von Datteln

Das Ekel von Datteln

Titel: Das Ekel von Datteln
Autoren: Leo P. Reinhard; Ard Junge
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Dijkstras Hotel hinüber. Er verspürte plötzlich große Lust, in einem der Straßencafés in der Sonne Platz zu nehmen, einen Kaffee zu trinken und den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen. Denn in der Nachsaison war es auf der Dorpsstraat am schönsten.
    Eigentlich.

6
     
     
    1913 errichtet, hat das Dattelner Rathaus nichts mit den Beamtensilos gemein, in denen heutzutage der öffentliche Dienst versteckt wird. Mit seinem Glockentürmchen, den Portalpfeilern und Rundbogentüren erinnert das Gebäude viel eher an eine Kreuzung aus Bischofssitz und Münsterländer Adelsschloss. In einem Park ein wenig von der Altstadt abgerückt, damit die Bürger nicht allzu lästig wurden, war es doch nahe genug, um Bauern, Bergarbeitern und anderen Hungerleidern die Größe Preußens zu demonstrieren. Für Dattelns Bürgermeister war das Beste gerade recht.
     
    Nach der Fete in der Stadthalle scheuchte Roggenkemper seine engsten Fans quer durch die Innenstadt zu seiner Residenz. Erinnerungsfotos, auf denen er im Mittelpunkt stand, waren seine große Leidenschaft. Es gab mittlerweile so viele davon, dass man alle Schulen und Altersheime damit tapezieren konnte.
    Roggenkemper dirigierte die Truppe zum Haupteingang auf der Nordwestseite.
    »Das macht nichts her«, beschwerte sich Mager. »Nehmen Sie die Rückseite: der Park, die Sonne …«
    »Hier oder nirgends! Ich gehe doch nicht durch die Hintertür!«
    Auf der Treppe begann ein heftiges Gerangel um die besten Plätze. Roggenkemper komplizierte die Aktion zusätzlich: Einerseits wollte er wie ein Vater auf seine Liebsten hinabblicken, andererseits ging er dabei mangels äußerer Größe inmitten seiner Ziehkinder unter.
    »So geht’s nicht«, schrie Mager. »Die Langen nach hinten! Und der Bürgermeister muss in die Mitte …«
    Das Geschiebe begann von vorn.
    Mager zog die Schultern hoch – in diesem Geschäft wunderte ihn so schnell nichts mehr. Er klemmte die Kamera auf das Stativ und blickte sich um. Von dem Rasen zwischen Rathausvorfahrt und Straße aus würde es gehen. Er schulterte den Rekorder und marschierte los. Fünf Minuten noch – dann ging es ab ins Café, zur Mittagspause …
    Beinahe aber wäre er ganz woanders gelandet – und nicht nur für ein Stündchen. Autoreifen kreischten, eine Hupe bölkte, Susanne schrie auf. Einen halben Meter vor ihm stand quer auf der Fahrbahn ein blauer Mercedes.
    Ein schlanker Vierzigjähriger in Jeans und weißem Lacoste-Shirt sprang heraus und rannte auf Mager zu.
    »Sind Sie lebensmüde?«, brüllte er.
    »Kameramann«, schrie Mager. »Aber das ist fast dasselbe …«
    »Idiot!«, schimpfte der Fahrer und hob die Hand an die Stirn. Seine dunklen Augen brannten vor Zorn.
    »Mensch, Uwe!«, rief Roggenkemper herüber. »Lass den Mann leben! Der soll unseren Film machen!«
    Der Benz-Pilot schleuderte Mager einen Blick zu, der eine Eiche gefällt hätte, und kletterte wieder in seine Kiste. Vorsichtig fuhr er vorbei und stellte den Dreihunderter schräg hinter den Lada. Dann stieg er aus und zündete sich eine an.
    »Komm, Uwe, du musst auch noch drauf!«, rief der Bürgermeister.
    »Aber ohne Fluppe!«, forderte Mager.
    Der Mann zog noch einmal an seiner Benson & Hedges und blickte Mager ausdruckslos an. Dann schnippte er die Zigarette auf die Fahrbahn und postierte sich auf der Treppe.
    Als die Szene im Kasten war, schickte Roggenkemper seine Garde in die Mittagspause und kam herüber.
    »Passen Sie besser auf sich auf! Datteln braucht Sie noch!«, mahnte er Mager und schaute auf die Uhr. »Sagen Sie: die Schreibtischszene, die noch fehlt – brauchen Sie dafür lange?«
    »Zwanzig Minuten, halbe Stunde«, antwortete Mager und sah seinen Eiskaffee in weite Fernen rücken.
    »Hast du so viel Zeit, Uwe?«
    Der Mensch mit dem Krokodil-Hemd nickte.
    »Also los …«
    Mager schleppte seine Ausrüstung in Roggenkempers Dienstzimmer, setzte ihn hinter den Schreibtisch, ließ ihn mit einem wunderhübschen verzierten Brieföffner ein paar Couverts aufschlitzen und Post lesen – dann war auch das geschafft.
    »Wunderbar«, strahlte der Bürgermeister. »Also, bis um drei am Fahnenmast!«
     
    Zehn Minuten später ging es Mager wieder besser: Im einzigen Café auf der Hohen Straße konnte er die Ausrüstung abstellen und die Beine ausstrecken.
    »Ich sag dir, Susanne, dieser Job hier, das ist sauer verdientes Geld«, meinte er, während er die Hirsche und Meisen auf den getönten Fensterscheiben musterte.
    »Immerhin: 30.000
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