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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt
Autoren: Andreas Steiner
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Schmerz,
wie wühlst du in meinem Leib
Verlangen,
wie quälst du mich
Leidenschaft,
wie erregst du mich
Liebe,
wie tröstest du mich
Und Friede,
wie erfüllst du mich
wenn ich zurückkehre
nach Hause
zu Dir.
Deírdre Ó MUIREADHACH

    D ankwarts Bogen zitterte nicht, aber sein Innerstes bebte geradezu vor Furcht. Seine Violine verströmte jenen satten, warmen Klang, von dem seine Zuhörer seit jeher so angerührt waren, seine Technik war von der gleichen Brillanz, die alle seine Bewunderer immer so hingerissen hatte. Und doch hatte er eine solche Angst, auch nur einen Fehler zu machen, dass er voller Zweifel war. Krieger waren sie heute, er und seine drei Freunde, nicht nur Musiker, Kämpfer. Und das Publikum des heutigen Abends würden sie erobern!
    Noch bevor der letzte zarte Ton von Puccinis wundervollen „Chrysanthemen“ verklungen war, brach ein wahrer Sturm los. Bravorufe in allen Stimmlagen mischten sich unter den Donner der zahllosen applaudierenden Hände. Das Publikum tobte vor Begeisterung, und erst nach dem dritten Verbeugen begannen die vier Musiker zu begreifen, wie grandios sie gewesen waren. Besser als je zuvor, präziser, prickelnder, leidenschaftlicher. Es hätte ihm nicht besser gelingen können.
    In Dankwart breiteten sich nur langsam Gefühle sowohl von Glück als auch Erschöpfung aus. Noch war ihm ganz unwirklich zumute, als wäre dies alles gar nicht wahr - Das erste Konzert in diesen ehrwürdigen Mauern, dem Kammermusiksaal der Alten Oper, mit den teuersten Eintrittskarten, die man an diesem Sommer 1903 für ein solches Konzert kaufen konnte! Nur gefeierte Künstler wie Pablo de Sarasate, Eugène Ysaÿe oder Jenő Hubay konzertierten dort sonst, aber er, Dankwart Brückner? Lyonel, der Bratscher, grinste jetzt zu Dankwart herüber, János, der Cellist strahlte. Selbst Erich, der Zweite Geiger, ließ einen Eindruck von Freude auf seinem sonst so beherrschten Gesicht erkennen. Endlich breitete sich das Gefühl des Triumphes auch in Dankwart aus. Jetzt begann auch er zu strahlen, als er in das Meer aus begeisterten Gesichtern blickte.
    Direktor Brauner, der Intendant, schien das ganz ähnlich zu sehen. Noch während die vier Musiker ihre Instrumente in der Garderobe in ihren Kästen verstauten, wuselte der kleine, rundliche Mann mit dem altkaiserlichen Backenbart überall herum und verkündete seine Pläne.
    „Ihr seid Helden, meine jungen Freunde!“ sprudelte es aus ihm heraus. „Heute habt ihr die Tore zu einem neuen Lebensabschnitt aufgestoßen! Ihr braucht nur noch hindurchzuschreiten! Ihr werdet zu den Großen eurer Zunft gehören!“
    Dankwart und die anderen genossen es. Im Geiste sahen sie sich bereits beim nächsten Konzert. Ob sie wohl auch in Zukunft gegenüber den vielen meisterhaften Ensembles würden bestehen können?

    Dankwart hatte, seinen Geigenkasten unter dem Arm, kaum die Garderobe verlassen, da trat ihm eine junge Frau entgegen. Sie hatte offenbar auf ihn gewartet.
    „Darius!“
    Dankwart stutzte.
    ‚Darius?’
    „Endlich!“ Sie strahlte ihn an.
    „Kennen wir uns?“
    Dankwart sah sie verwirrt an. Er sah in ein Gesicht von dunkler Schönheit, markant, ernst, und voller Anmut. Sofort durchströmte ihn ein warmes Gefühl des Verlangens.
    „Ja!“
    Das sagte sie so überzeugt, dass es keinen Zweifel zu geben schien.
    „Ich habe dich vom ersten Augenblick an geliebt. Und seitdem ich dich sah, suche ich dich.“
    Sie legte ihre Hand auf seinen Arm.
    „Du bist jünger als damals. Zumindest scheint mir das so.“
    In Dankwarts Kopf veranstalteten die Gedanken eine wilde Jagd. Erinnerungen und Phantasien lieferten sich erbitterte Kämpfe. Diese Frau kannte er nicht, musste er feststellen, sie schien aber ihn zu kennen.
    Sie musste sich irren!
    Oder, wenn nicht ... mit seinen erst dreiundzwanzig Jahren wusste er bereits sehr wohl, wie viele Dinge es außerhalb des bewussten Verstandes gibt. Er war ohnehin bereits völlig in die Schönheit ihres Gesichtes versunken.
    „Ich muss ein kompletter Narr sein, wenn ich mich an diese Augen nicht erinnere“, sagte Dankwart. „Aber selbst, wenn Sie sich irren – jetzt ist es nicht mehr wichtig.“
    „Ich irre mich nicht. Du bist bei mir gewesen, als ich jemanden ersehnte, der so ist wie du. Durch dich habe ich plötzlich gewusst, wer ich bin und was ich will. Ich erinnere mich an alles, an jeden Augenblick.“
    Sie schien sich wirklich absolut sicher zu sein.
    „Du hast mir einst gesagt, ich solle dich festhalten. Ich habe es
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