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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Autoren: Jo Nesbø
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Prolog
    S ie lag hinter der Tür und schlief.
    Der Eckschrank roch im Innern nach altem Holz, Pulver und Waffenöl. Schien die Sonne durch das Fenster des Raums, fiel ein dünner Streifen Licht durch das Schlüsselloch und ließ die Pistole auf dem mittleren Brett matt aufblitzen. Es war eine russische Odessa, eine Kopie der etwas bekannteren Stetschkin-Pistole.
    Die Waffe hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Sie war mit den Kulaken von Litauen nach Sibirien gezogen, war zwischen den verschiedenen Hauptquartieren der Urkas in Südsibirien hin und her gewandert, hatte einem Ataman gehört – einem Anführer der Kosaken, der mit seiner Odessa in der Hand von der Polizei getötet worden war –, bevor sie schließlich in den Besitz eines waffensammelnden Gefängnisdirektors in Tagil gelangt war. Zu guter Letzt war die hässliche, kantige Maschinenpistole von Rudolf Asajev, der vor seinem Verschwinden den Osloer Drogenmarkt an sich gerissen und mit seinem neuen Opioid Violin ein Monopol aufgebaut hatte, nach Norwegen gebracht worden. Und hier befand die Waffe sich noch immer, genauer gesagt im Holmenkollveien in Oslo, im Haus von Rakel Fauke. Das Magazin der Odessa umfasste zwanzig Kugeln des Kalibers Makarov 9x18 mm, und sie schoss sowohl Einzelschüsse als auch Salven. Jetzt waren noch zwölf Kugeln im Magazin. Drei Patronen waren für Kosovo-Albaner verwendet worden, die Asajev Konkurrenz auf dem Drogenmarkt gemacht hatten, doch nur eine davon hatte Fleisch zu schmecken bekommen.
    Zwei weitere Schüsse hatten Gusto Hanssen getötet, einen jungen Dieb und Dealer, der Geld und Drogen von Asajev unterschlagen hatte. Die letzten drei Kugeln waren erst vor kurzem abgefeuert worden, die Pistole roch noch immer danach. Sie hatten den früheren Polizisten Harry Hole, der im Mordfall Gusto Hanssen ermittelte, in Brust und Kopf getroffen, am gleichen Tatort, in der Hausmanns gate 92.
    Die Polizei hatte den Hanssen-Fall noch nicht gelöst. Der 18-jährige Junge, der zuerst festgenommen worden war, musste wieder auf freien Fuß gesetzt werden, unter anderem weil es der Polizei nicht gelungen war, ihn mit der Mordwaffe in Verbindung zu bringen. Dieser Junge hieß Oleg Fauke. Er schrak jede Nacht aus dem Schlaf auf und starrte ins Dunkle, weil er wieder und wieder die Schüsse hörte. Nicht die, mit denen er Gusto getötet hatte, sondern die anderen, die er auf den Polizisten abgefeuert hatte, der in seiner Jugend so etwas wie ein Vater für ihn gewesen war. Harry Hole. Von dem er sich gewünscht hatte, dass er seine Mutter Rakel heiratete. Harrys Blick brannte vor Oleg im Dunkeln, und die Gedanken des Jungen wanderten immer wieder zu der Pistole im Eckschrank, die er niemals wiedersehen wollte. Die niemand je wiedersehen durfte. Die für alle Ewigkeiten dort drinnen schlafen sollte.
    Er lag hinter der Tür und schlief.
    Das bewachte Krankenhauszimmer roch nach Medizin und Farbe. Neben dem Bett stand ein Monitor, der jeden Herzschlag aufzeichnete.
    Isabelle Skøyen, Sozialsenatorin im Osloer Rathaus, und Mikael Bellman, der frisch ernannte Polizeipräsident, hofften, dass sie ihn niemals wiedersehen müssten.
    Dass niemand ihn je wiedersah.
    Dass er für alle Ewigkeit dort drinnen schlief.

Teil I

Kapitel 1
    E in langer, spätsommerlicher Septembertag ging zu Ende. Das Licht verwandelte den Oslofjord in geschmolzenes Silber, und die Hügel ringsherum, die bereits den nahenden Herbst ankündigten, glühten in warmen Farben. Es war einer dieser Tage, an denen die Osloer darauf schworen, dass sie diese Stadt niemals, niemals verlassen würden. Die Sonne ging langsam hinter dem Ullern unter, und die letzten Strahlen strichen flach über die Landschaft und fielen auf niedrige, bescheidene Mietshäuser, die noch die ärmlichen Ursprünge der Stadt erkennen ließen, auf toprenovierte Penthousewohnungen mit Terrassen, von denen fast das Öl tropfte, welches das Land ganz plötzlich zu einem der reichsten der Welt gemacht hatte, und auf die Junkies am oberen Ende des Stensparks. Die Stadt war klein und wohlgeordnet, und doch gab es dort mehr Drogentote als in anderen europäischen Städten, die achtmal größer waren. Das Licht fiel auf Gärten mit Trampolinen, die mit Netzen gesichert waren und auf denen nie mehr als drei Kinder gleichzeitig hüpften, weil dies so in der Gebrauchsanweisung stand. Und auf die bewaldeten Hügel, die den Osloer Kessel, wie er genannt wurde, einrahmten. Die Sonne konnte sich noch nicht von der Stadt
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