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Die schlafende Stadt

Die schlafende Stadt

Titel: Die schlafende Stadt
Autoren: Andreas Steiner
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damals nicht gekonnt. Aber jetzt will ich es tun.“
    Dankwart starrte sie an. Regte sich da eine Erinnerung? War das nicht etwas Vertrautes, etwas Bekanntes aus unendlich lang vergangener Zeit? Oder erschuf er in diesem Augenblick eine Erinnerung an etwas, das es nie gegeben hatte?
    „Aber ich heiße gar nicht Darius ...“
    „Du heißt Dankwart. Ich weiß. Das ist auch ein schöner Name. Und dennoch bist du derjenige, den ich suche.“
    Sie schmiegte sich an ihn und bot ihm ihren Mund. Ihre Gesichter näherten sich. Schüchtern küssten sie sich.
    „Lass uns zusammen fortgehen“, sagte sie.
    „Ja. Nichts lieber als das“, hörte Dankwart sich sagen. Sie verströmte einen betörenden Duft, wie ein Hauch von Aprikosenblüten auf ihrer jugendlichen Haut. Wie im Traum legte er den Arm um ihre schlanke Taille. Warm und erregend fühlte sie sich an, und voller Leben. Berauschend war es, sie an seiner Seite zu spüren.
    Gemeinsam traten sie ins Freie, schritten die Stufen hinab und betraten den gepflegten Kiesweg. Am Horizont war noch ein schwaches Licht der bereits versunkenen Sonne zu sehen, und am Nachthimmel leuchteten die Sterne. Ein warmer Sommerwind wehte.
    Ungläubig sah Dankwart auf seine bezaubernde Begleiterin. „Aber wie hast du mich gefunden?“ fragte er. „Wie konntest du wissen ...“
    „Du selbst hast mich zu dir geführt“, sagte sie. „Seit einer Nacht vor vielen Jahren weiß ich von dir und dass wir füreinander bestimmt sind. Ich brauchte dich nur zu finden. Und auch dies hat das Schicksal für mich geregelt. Ein Freund hat mir diese Konzertkarten geschenkt. Alles andere ergab sich ganz von selbst.“
    „Mir ist, als träume ich. Noch gerade eben wusste ich nicht ...“
    Sie lachte. „Du bist aber wach. Hier, berühre mich! Ist dies geträumt?“
    Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihr Dekolleté. Dankwart sah sich flüchtig um. Kein Mensch war zu sehen.
    „Und das!“ Sie küsste ihn leidenschaftlich. Ihr Mund schmeckte frisch und lebendig - wie ein Frühlingsmorgen.
    „Und jetzt komm!“
    Da gab es keinen Widerspruch. Sie nahm Dankwarts Hand. Leicht und glücklich ging er mit ihr durch den Park zum Ausgang.

Dunkel ist die Nacht,
in der der Mond sie nicht erhellt.
Vielleicht verbirgt er sich
hinter schwarzen Wolken,
und auch das Licht der Sterne
dringt nicht zu uns hindurch.
Vielleicht aber wendet er
sein Gesicht ab,
als habe er uns verlassen
und sich anderem zugewandt,
so als habe er die vergessen,
die er noch zuvor freundlich angeschaut,
flüchtig wie ein ferner,
beiläufiger Gruß,
launisch wie die Katze,
die kommt und geht, wie es ihr beliebt.
Und wir, die Vergessenen,
harren aus und warten,
schauen dann wieder
voll Dankbarkeit auf die Welt,
die er uns durch sein Licht schenkt.
Erst das Licht lässt diese Welt erstehen,
es ist unser Leben,
unser ganzes Sein.
Und geht es fort von uns,
so fallen wir zurück in das Nichts,
in die Dunkelheit,
bangend, hoffend, lauernd
auf seine Wiederkehr.
O Licht, warum hast du uns verstoßen?
Eldéreth Amar dâr VJÄNUSKÝLL

    E s war eine knochige, fleckige Hand, die an die kunstvoll geschnitzte Holztür pochte; langsam, gleichmäßig, unerbittlich. Die Stille danach glich einem angsterfüllten Atemanhalten. Die Gruppe der schwarzgekleideten Gestalten stand regungslos in der dunklen Gasse und wartete. Nur ein schwacher, leiser Hauch des Nachtwindes strich durch die Falten ihrer Gewänder.
    Die müden, schlurfenden Schritte im Inneren des Hauses näherten sich den Wartenden. Sie stoppten an der Tür. Ein Rascheln, ein reibendes Geräusch - die Tür wurde entriegelt und schwang lautlos auf.
    „Ja, bitte?“
    Trotz seines kraftlosen, schläfrigen Aussehens war der Blick des Bürgers verstört, unsicher. Seine Augäpfel zuckten unruhig in seinem bleichen Gesicht hin und her, und suchten die Situation zu erfassen.
    „Du bist Freder, der Tischler, nicht wahr?“ fragte die hohe, lispelnde Stimme des Anführers.
    „Ich ... der bin ich. Aber was ...?“
    „Schöne Schnitzereien sind das an deiner Haustür“, sagte die hochgewachsene Gestalt. Der lange, dünne Zeigefinger strich an dem filigranen Relief einer Weinranke entlang. „Stammen die von dir?“
    Freder stockte irritiert. Dann versuchte er ein vorsichtiges Lächeln.
    „Aber ja! Das Schnitzen gehört schließlich zu meinem Handwerk ...“, brachte er mühsam hervor.
    „Woher hast du dieses Motiv?“
    „Es ist mir so eingefallen.“
    Ein kurzes, meckerndes Lachen ertönte.
    „Es ist ihm
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