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Schattenschmerz

Schattenschmerz

Titel: Schattenschmerz
Autoren: Rose Gerdts
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Prolog
    Seine feuchten Finger umklammerten das Lenkrad.
    Die Knöchel der rechten Hand traten weiß hervor, als der Wagen in den Lichtschein einer Straßenlaterne eintauchte. Mechanisch betätigte er an der Kreuzung den Blinker und bog in die kleine Straße ab, die unter der Autobahn durchführte. Er war froh, die Siedlung mit den Reihenhäusern hinter sich zu lassen. Die Klinkerhäuschen mit ihren Blumenbeeten und Fahrradständern vor der Tür strahlten eine selbstsichere Behaglichkeit aus, deren Anblick er nicht ertragen konnte.
    Vor ihm lag ein Tunnel, der unter der Autobahn hindurchführte. Er war schmal und nicht beleuchtet. Ihm schien es, als tauche er in ein schwarzes Loch ein. Ruckartig trat er auf die Bremse. Wie aus weiter Ferne drang das Geräusch der quietschenden Reifen zu ihm durch. Langsam ließ er die Scheibe an der Fahrerseite hinunter. Ein kühler Luftzug strich über sein Gesicht.
    Über ihm, auf der Autobahn, näherte sich ein schweres Fahrzeug. Ein grollender Donner rollte über ihn hinweg. Dann war es wieder still.
    Langsam wich die Anspannung aus seinem Körper. Nicht mehr lange, dann würde Ruhe sein. Er sehnte sich danach, nichts mehr entscheiden, nichts mehr denken, nichts mehr fühlen zu müssen.
    Am Morgen hatte er seinen Cocker Spaniel zur Schwester gebracht und etwas von einem Vorstellungsgespräch im Rheinland gemurmelt. Die Schwester hatte es geglaubt und ihm Glück gewünscht. Ihre Einladung zum Kaffee hatte er ausgeschlagen und sich abrupt verabschiedet. Sie sollte nicht sehen, wie ihm Tränen die Sicht verschleierten. Bis ins Erdgeschoss des Treppenhauses hatte ihn das Bellen seines Hundes verfolgt.
    Das war das Schlimmste gewesen: Lindas Gebell. Beinahe wäre er umgekehrt.
    Aber er war nach Hause gefahren, hatte die restlichen Regale und Schränke ausgeräumt, die wenigen Bilder von den Wänden abgenommen und seine Sachen in beschriftete Kisten gepackt.
    Als er die letzte, mit Büchern und CD s gefüllte Kiste auf die anderen wuchtete, fühlte er sich ruhiger. Niemand sollte sich mit seinen Sachen abmühen müssen. Er hatte schon lange kein Zuhause mehr. Es gab nur eine Adresse, wo er schlief und sich seit Monaten verkroch.
    Vorsichtig tippte er das Gaspedal mit der Fußspitze an und ließ den Wagen ans Ende der Unterführung rollen. Vor ihm tat sich eine weite Wiesenlandschaft auf. Der Himmel war bewölkt. Nur ab und an fiel etwas Mondlicht auf die feuchten Felder und brachliegenden Äcker. Die einspurige Straße, die für landwirtschaftliche Fahrzeuge gebaut worden war, machte einen Bogen nach rechts und lief weiter parallel zur Autobahn. Nach 100 Metern parkte er sein Fahrzeug am Straßenrand und stieg aus.
    Sein Pulschlag ging schneller. Mühsam schnappte er nach Luft. Der Druck auf der Brust war kaum auszuhalten. Vergeblich bemühte er sich, gleichmäßig zu atmen. Er wusste, was gleich kommen würde. Die Angst lauerte zwischen den Büschen. Gleich würde sie ihn von der Böschung anspringen, ihn packen und zu Boden drücken. Wie so oft schon. Dabei war er ganz nah am Ziel.
    Er zwang sich, an etwas anderes zu denken. Fast glaubte er sich schon als Sieger über seine Dämonen, doch dann hörte er plötzlich wieder Lindas Gebell. Dieser verdammte Hund! Er sollte Ruhe geben. Die Schwester würde sich um ihn kümmern. Er hatte an alles gedacht. Kein Grund so zu kläffen.
    Die Wut half ihm loszugehen.
    Zwei Sattelzüge donnerten in dichtem Abstand in Richtung Hamburg. Plötzlich gaben seine Beine nach, er schwankte und sackte auf die Straße. Doch er widerstand dem Wunsch, sich zusammenzurollen, und kroch unter größter Kraftanstrengung ums Auto herum in Richtung Böschung. Stück für Stück schleppte er sich den nur wenige Meter hohen Wall hinauf.
    Oben angekommen, brauchte er eine ganze Weile, um wieder ruhig atmen zu können. Langsam verebbte die Panikattacke.
    Mühsam richtete er sich an der Leitplanke auf. Seine Kleidung hob sich dunkel von dem Metall ab. Wie in Zeitlupe stieg er hinüber und sah in der Ferne ein Licht mit hoher Geschwindigkeit auf sich zukommen. Er machte einen Schritt in Richtung Fahrbahn. Im selben Augenblick raste der Wagen hupend an ihm vorbei. Der Luftzug zerrte an der Kordel seiner dunkelbraunen Kapuze. Er sah nicht, dass das Fahrzeug in einiger Entfernung auf dem Standstreifen stehenblieb und jemand die Warnblinkanlage einschaltete.
    Er hatte keinen Blick mehr für das, was um ihn herum geschah, was sich hinter seinem Rücken abspielte. Er bemerkte
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