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Lieber Dylan

Lieber Dylan

Titel: Lieber Dylan
Autoren: Siobhan Curham
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Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Liebe
    Datum: Montag, 1. Mai, 16:05

    Lieber Dylan,
    mein Gott, es fühlt sich wirklich verrückt an, dir eine Mail zu schreiben, als ob ich dich kennen würde oder so! Aber die Sache ist   – ich habe wirklich das Gefühl, dich zu kennen. Und   – da haben wir’s   – ich liebe dich. Ich weiß, wir sind uns nie begegnet oder so was in der Art, aber manchmal, wenn ich dich in Jessop Close sehe, kommt es mir vor, als würdest du wirklich nur zu mir sprechen. Ich weiß, es gibt noch 7,6 Millionen weitere Fernsehzuschauer, zu denen du auch sprichst. Wenn ich mir einbilden würde, du würdest wirklich nur zu mir sprechen, dann wäre ich ein bisschen matschig in der Birne (wie meine beste Freundin Jessica R. Bailey es ausdrücken würde). Und ich bin nicht matschig in der Birne, ehrlich nicht. Es ist nur so: Manchmal, wenn du dich mit deinen Eltern streitest oder wenn du dich Mark oder Kez anvertraust   … die Sachen, die du dann sagst, nun ja, die sind so, als würdest du meine eigenen privatesten Gedanken aussprechen. Macht das irgendeinen Sinn? Ich fürchte nicht. Aber was ich zu sagen versuche, ist, dass ich dich verstehe. Ich weiß, wie es ist, ein Außenseiter zu sein. Und nur, wenn ich dich in Jessop Close sehe und du auf deine ganz eigene Art diese Dinge sagst, fühle ich mich nicht mehr so total allein. Weil ich wenigstens weiß, dass da draußen jemand ist, der genauso fühlt wie ich. Ich weiß, du bist Schauspieler und nebenbei gesagt, mein absoluter Lieblingsschauspieler. Die anderen Mädchen in der Schule fahren alle auf Jeremy Bridges ab, aber entschuldige mal, wenn du mich fragst, ist er der reinste Schnarchkopf. Ich denke, du solltest wissen, dass ich mir gern neue Worte ausdenke. Und ein Schnarchkopf ist ein Schwachkopf, der so langweilig ist, dass man anfangen möchte zu schnarchen. Du bist viel interessanter als Jeremy Bridges, und wenigstens bist du nicht mit so einer Supermodel-Tussi zusammen, die es für eine tolle Idee hält, ohne Unterhosen aus einem Auto zusteigen, obwohl sie weiß, dass sich da draußen jede Menge Fotografen rumtreiben. Nur so aus Interesse, bist du im Moment überhaupt mit jemandem zusammen? Na, wie auch immer, wie schon gesagt, ich weiß, du bist ein Schauspieler, und das, was du sagst, gehört alles zu deiner Rolle, aber es ist deine Art, diese Sachen zu sagen. Du könntest nicht so überzeugend sein, wenn du nicht wirklich wüsstest, wie man sich dabei fühlt. Stimmt’s?
    Ich hoffe, ich habe dich nicht schockiert, als ich geschrieben habe, ich liebe dich. Es ist nur so, dass ich heute Morgen Oprah im Fernsehen gesehen habe, und sie hat gesagt, wir sollten uns alle viel öfter sagen, dass wir uns lieben. Sie hat gesagt, auf der Welt würde es viel besser zugehen und es würde nicht all diese Kriege und Terrorismus und all so was geben, wenn wir das machen würden. Natürlich sollen wir das nicht zu jedem sagen, ich würde auf KEINEN FALL zu meinem bescheuerten Stiefvater sagen, dass ich ihn liebe, denn dann würde ich lügen, und ich glaube nicht, dass Oprah das gefallen würde. Ich habe auf der Rückseite von Mums Einkaufszettel eine Liste von allen Leuten gemacht, die ich liebe. Hier ist sie:
    Dylan Curtland   – das heißt dich!
    Michaela Roberts
    Angelica Roberts
    Jessica R. Bailey
    Jeff Harris

    Jessica R. Bailey ist meine beste Freundin, seit wir uns in der Grundschule kennengelernt haben   – und jetzt sind wir in der 9.   Klasse. Das R steht für Rebecca, und Jessica findet, es hört sich total gebildet an, wenn Leute die Initialen ihrer Zweitnamen benutzen. Mein Zweitname ist Olivia, ich wäre dann also Georgie O. Harris, was sich eher nach einem irischen Bauarbeiter anhört als nach einer gebildeten Person, aber so ist es eben. Angelica Roberts ist meine Mum. Meine Mum würde dir gefallen, sie ist wirklich schön. Mein Vater (Jeff Harris) hat sie immer seine Porzellanpuppe genannt, denn genausosieht sie aus, wie eine Porzellanpuppe mit ihrer schneeweißen Haut und ihren kleinen Rosenwangen und Lippen. Sie ist auch wirklich zerbrechlich wie eine Puppe. Das ist das Einzige, was ich an ihr nicht liebe, das Gefühl, dass sie eines Tages in Millionen kleiner Scherben zerbrechen könnte. Dir ist vielleicht aufgefallen, dass ich geschrieben habe, mein Vater hat sie immer seine Porzellanpuppe genannt. Das ist deswegen, weil mein Vater   – nun ja, er ist tot. Aber ich liebe ihn immer noch.
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