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Das Ekel von Datteln

Das Ekel von Datteln

Titel: Das Ekel von Datteln
Autoren: Leo P. Reinhard; Ard Junge
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betrachtete er mit dem Wohlwollen eines professionellen Heiratsvermittlers.
    Das war Roggenkemper. Und Roggenkemper war der Chef von Datteln.
    Der Mensch war über sechzig, wirkte zwei Wahlperioden jünger und war aktiv wie ein Vierziger.
    Neben dem Dattelner Stadtparlament kommandierte er in Recklinghausen die Kreistagsfraktion und den Unterbezirk seiner Partei. In Münster bereitete er die wichtigsten Entscheidungen im Landschaftsverband Ruhr-Lippe vor, und im Düsseldorfer Landtag galt er als gewitzter Redner, dem man besser keine Blöße bot. Außerdem kämpfte er im Deutschen Städtetag und in zwei Aufsichtsräten. Sein Draht zur Welt war eine auf Lebenszeit zugesicherte Kolumne in einer Gewerkschaftszeitung, deren hundert Zeilen er regelmäßig um mindestens die Hälfte überzog.
    Diese geballte Ladung an politischer Verantwortung zwang Roggenkemper, seine Basisarbeit auf das Allernotwendigste zu beschränken. Er war nur noch Vorsitzender des Turnvereins Teutonia, Präsident der Gesellschaft der Freunde des Datteln-Hamm-Kanals, Ehrenbrandmeister der Freiwilligen Feuerwehr, Ehrenoberst der Horneburger Prinzengarde, Tambourmajor im Fanfarenzug der Berginvaliden und Reservehauptmann der Deutschen Bundeswehr. Wie er es bei diesem Stress noch zu zwei Kindern, Dackel und Ehefrau gebracht hatte, war Mager einfach schleierhaft.
    »Entschuldigen Sie, Herr Oberleutnant«, unterbrach Susanne den Redefluss ihres Kavaliers. »Darf ich Ihnen meinen Kameramann vorstellen?«
    Der Dicke nickte dem Offizier zu und murmelte etwas, das man mit einigem Wohlwollen auch als Artigkeit verstehen konnte. Seit den achtzehn Monaten bei den Panzergrenadieren konnte er den Anblick solcher Silbermützen nur noch besoffen ertragen.
    Auch Roggenkemper freute sich außerordentlich, den PEGASUS-Vize zu sehen. Er drückte Mager ein Glas mit Fürstensprudel in die Hand: »Schön, dass Sie da sind. Bei diesem Wetterchen werden wir ein schönes Filmchen drehen …«
    Seine kräftige Stimme beeindruckte Mager kaum weniger als das Aussehen: Dem Löwen von Metro Goldwyn Mayer wären vor Neid die Schwanzhaare ausgefallen.
    Roggenkemper zog Mager zur Seite.
    »Haben Sie einen guten Zoom?«
    Mager nickte.
    »Ausgezeichnet! Also, passen Sie auf …«
    Kurz und präzis befahl ihm der Bürgermeister, wie er nachmittags bei seinem großen Auftritt am Kanal auf das Video gebannt werden wollte.
    »Und noch was: Nach etwa drei Minuten – Stichwort ›Kaiserwetter‹ – sage ich etwas über unsere Bundeswehr. Das muss in voller Länge drauf. Kapiert?«
    Mager nickte und schluckte einen Frosch herunter. Sein Blick fiel auf Susanne. Sie zwinkerte leicht und wandte sich an den Häuptling: »Keine Sorge, Herr Roggenkemper. Mein Kameramann ist ein As.«
    Der Sektempfang dauerte eine Stunde. Es wurde wenig geredet, viel geschwätzt und noch mehr getrunken. Makler und Architekten, die Chefs des Hochbauamtes und der kommunalen Wohnungsgesellschaft, ein Luftballonfabrikant und zwei Zink-Manager, der Kasernenkommandant und der Vorstand des Marinevereins, die Fraktionschefs und Ausschussvorsitzenden – alle waren da, die dem Bürgermeister lieb und den Bürgern meistens teuer waren. Wer fehlte, war nur der Größte unter den einheimischen Unternehmern: Gustav Puth. Als Bauunternehmer und Betonfabrikant nicht gerade ein armer Mann, hatte ihn seine zweite Heirat vor rund fünfzehn Jahren auch noch zum Inhaber einer Fabrik für Bergwerksausrüstungen und einer Ratsfrau aus den Reihen der größeren Oppositionspartei gemacht. Aber die sah an diesem Morgen nicht ganz so fröhlich aus.
    »Beatrix! Schön, dass du trotzdem gekommen bist!«, strahlte Roggenkemper, als er die attraktive Fünfzigjährige mit Küsschen begrüßte.
    »Was macht Gustav?«
    Die Dame mit dem Haarknoten legte etwas Grau über ihre Spanien-Bräune: »Besser. Aber er wird heute Abend nicht kommen. Dr. Kloppenburg hat ihn wieder ins Bett gesteckt.«
    Der Bürgermeister schaute auf die Uhr und runzelte die Stirn: »Ich kann’s nicht versprechen – aber wenn ich es zwischen Fahnenappell und Nato-Ball schaffe, komme ich auf einen Sprung …«
    »Lass es gut sein. Du machst auch viel zu viel«, sagte sie und legte ihre Hand auf seinen Arm. Dann, mit deutlichem Zittern in der Kehle: »Ich muss dir noch danken, weil du so oft vorbeigeschaut hast. Das hat ihm mehr geholfen als die Spritzen …«
    Roggenkemper schüttelte ernst sein Haupt.
    »Nicht doch, Beatrix. Er hätte dasselbe für mich getan«, sagte er.
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