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Das Ekel von Datteln

Das Ekel von Datteln

Titel: Das Ekel von Datteln
Autoren: Leo P. Reinhard; Ard Junge
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Touristen auf Vlieland tummelten: Fahrraddiebstahl, Lärm auf der Dorfstraße, ab und zu eine Prügelei. Aber wirkliche Verbrechen hatte es bis zu dem Brand nicht gegeben. Dafür kannten sich die tausend Einwohner viel zu gut. Und die Fremden kamen zur Erholung und nicht, um jemanden umzubringen. Bis gestern jedenfalls.
    »Nein, das war keiner von hier«, bekräftigte der Oberwachtmeister jetzt selbst und schob dem Hotelier den Bogen Papier hinüber.
    »Schreib mir noch die Namen von allen auf, die mit ihr gesprochen haben …«
    Während Dijkstra sich an die Arbeit machte, schlug Hoekstra den Personalausweis der Toten auf und musterte das Foto auf der fünften Seite. Es war einige Jahre alt, schien aber eine für solche Aufnahmen ungewöhnliche Ähnlichkeit mit der Abgebildeten zu besitzen. Er steckte das kartonierte Heft ein.
    »Ich frage Jan Wouter, ob er uns Abzüge macht, und gehe dann ins Büro. Und wenn einer von dir was wissen will, sag nur, dass jemand gestorben ist. Mord ist ein zu schlimmes Wort …«
    Er öffnete die Tür. An der Rezeption warteten neue Gäste.
    »Am besten, du machst deine Arbeit«, sagte der Polizist. »Sonst …«
    Ein fernes, lang gezogenes Tuten drang durch die geöffneten Türen: In wenigen Minuten würde die Fähre zur zweiten Fahrt nach Harlingen ablegen.
    Hoekstra zuckte zusammen und rannte ohne Gruß nach hinten, zum Hof. Ihm war eingefallen, welchen Denkfehler Dijkstras Sohn gemacht hatte.

4
     
     
    »Mager, mach, sonst kommen wir zu spät!«
    Mager machte. Mit lockeren 80 polierte er den Asphalt der B 235, die von Castrop nach Datteln führt.
    Stadt und Straße schleppten sich endlos hin. Links zogen die Vororte Meckinghoven, Dümmer und Hagem vorbei, rechts drohten neue und alte Umweltskandale: Ruhrzink (Cadmium), Kraftwerk (Schwefel) und die Zeche Emscher-Lippe. Der Pütt war längst dicht, aber von dem, was noch im Boden lag, krepierten am Mühlenbach die Ratten. Und hinter den Dreckschleudern, fast parallel zu Stadt und Straße, der Dortmund-Ems-Kanal, der dem Provinznest 1899 den Anschluss an die Neuzeit geschenkt hatte.
    Das Schicksal ereilte sie an der Ecke zum Südring, hinter dem die Innenstadt beginnt. Die Ampel sprang auf Sonnenuntergang, als der PEGASUS-Kombi noch sieben Meter entfernt war. Magers Bleifuß pendelte zwischen Gas und Bremse, und schon schwebten sie mitten auf der Kreuzung. Ungerührt zog er den Motor wieder hoch, aber die Polizeisirene war lauter.
    »Herr Mager«, sagte der Obermeister, nachdem er Papiere, Kennzeichen und Bereifung eingehend in Augenschein genommen hatte. »Ob man in Dortmund inzwischen bei Rot fahren darf, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber hier in Datteln hört bei dieser Farbe jeder Spaß auf. Es ist unzweifelhaft …«
    »Hör mal, Kumpel«, versuchte es der Dicke, »wir haben es …«
    Es war die falsche Tour. Der Mann spürte sofort seinen Weisheitszahn.
    »Idiot!«, zischte Susanne. »Du versaust alles!«
    Sie zog eine Zellophanhülle aus dem Handschuhfach und kletterte aus dem Wagen.
    »Herr Hauptmeister«, lächelte sie. »Sie haben ja völlig recht. Aber wir sind auf dem Weg zur Stadthalle, um auf dem Empfang des Bürgermeisters zu drehen. Herr Roggenkemper …«
    Ob es an der Beförderung lag oder an der Erwähnung des Stadtvaters – die dunkle Miene des Beamten erhellte sich. Noch zögerte er und mimte Bedenken, aber als sich Susannes Lächeln in ein Strahlen verwandelte, brach ihm schier das Herz.
    Zehn Sekunden später war Mager wieder auf der Piste – mit müden 51.
     
    Die Uhr zeigte 10 Uhr 58, als sie schräg gegenüber der Halle auf den Parkplatz rollten. Sie quetschten ihren Wagen zwischen einen weißen Mercedes 230 E mit Verwaltungskennzeichen und einen olivgrünen Passat mit Bundeswehrschild – der rote Lada machte sich da prächtig.
    Susanne schlängelte sich als Erste hinaus: »Ich peile die Lage und beruhige Roggenkemper!«
    Fluchend packte Mager die Ausrüstung aus und schleppte das Zeug über die Kreuzung: Der Dumme war immer er.
    Susanne stand, ein Sektglas in der Hand, bei einem ranken Oberleutnant und lauschte einem Anekdötchen aus dem Landserleben. Vor ihnen, in grauem Sommeranzug und Schuhen mit überhöhtem Absatz, ein Mensch von höchstens eins fünfundsechzig. Mit Hornbrille, Bürstenschnitt und sorgfältig gestutzter Seemannskrause sah er aus wie die Reklamefigur für einen Rumverschnitt. Die Annäherung zwischen Truppe und Zivilbevölkerung, die sich vor seinen Augen zu vollziehen schien,
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