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Das Ekel von Datteln

Das Ekel von Datteln

Titel: Das Ekel von Datteln
Autoren: Leo P. Reinhard; Ard Junge
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Und je näher sie sich an die Barackenwände herangruben, desto behutsamer gingen sie zu Werke. Aber immer wieder rutschte nasser Sand aus dem Garten nach.
    Der Pulk von Journalisten, die sich auf der Insel versammelt hatten, hatte es schon längst aufgegeben, den Grabenden stundenlang auf die Finger zu schauen. Einmal täglich machten sie aus dem Nachbargarten heraus eine fotografische Bestandsaufnahme der Verwüstungen hinter dem Rathaus und setzten sich dann in die nächste Kneipe, um ihre Kleidung zu trocknen und die Kehlen zu befeuchten. Sie hatten Hoekstras Wort, sofort gerufen zu werden, sobald die Grabenden fündig wurden – falls sie überhaupt etwas fanden.
    Am vierten Tag, gegen halb elf, war’s soweit. Einer der Männer stieß mit seinem Handspaten gegen etwas Hartes, Morsches. Mit einem dichten Malerpinsel kratzte er den Sand weg, der den grauen Gegenstand im Boden umgab. Zentimeterweise legte er ein größeres, leicht gewölbtes Knochenstück frei. Den Schädel eines Menschen.

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    Der Bericht aus Leeuwarden kam diesmal schnell und unbürokratisch: Major de Jong hatte den Befund der Leiche und der Begräbnisstätte einfach einmal mehr kopiert und die Blätter unter Umgehung aller Dienstwege direkt nach Recklinghausen geschickt.
    Während sich Oberkommissar Hänsel mit den vier eng beschrifteten Seiten zu seinen Wörterbüchern ins Nebenzimmer begab, gluckste Steigerwald plötzlich los. Alle starrten ihn an, aber er grinste ungerührt weiter und tippte mit dem Mundstück seiner Pfeife auf das Wappen, das den beige-braunen Briefumschlag zierte: Mitten in einem achtzackigen Polizeistern prangte eine jener handlichen runden Wurfbomben, mit denen die Terroristen des neunzehnten Jahrhunderts so manchen Despoten auf seine letzte Reise geschickt hatten. Der unbekannte Zeichner hatte offensichtlich Sinn für dramatische Momente besessen: Aus einer Öffnung im Oberteil der Kugel loderten neun flackernde Flammen in den Himmel – das letzte Tausendstel vor der Sekunde der Explosion.
    »Stellen Sie sich vor«, feixte Steigerwald, »dieser Brief landete in Bonn auf dem Schreibtisch des Innenministers …«
    Lohkamp sah ihn ausdruckslos an. Er kannte den Herrn, von dem Steigerwald sprach, von Angesicht zu Angesicht. Aber seit der Dortmunder Affäre hatte er aufgehört, Witze über ihn zu reißen.
    Schließlich zuckte er mit den Achseln: »Hoffen wir, dass der Inhalt genauso brisant ist …«
    Als Hänsel um kurz vor zwölf mit den Texten zurückkam, hatte er einen Joghurtflecken auf seiner weinroten Krawatte und zog ein enttäuschtes Gesicht: »Hören Sie zu …«
    Das Skelett im Rathausgarten stammte von einer zwanzig- bis dreißigjährigen Frau und hatte vierzig bis fünfundvierzig Jahre im Boden gelegen. Die sterblichen Überreste gaben keinen Aufschluss über die Art ihres Todes.
    Was die von Puth erwähnte junge Frau anging, so erinnerten sich zwei alte Inselbewohner an ein Mädchen namens Hanna Kienstra aus Zwolle. Sie hatte einem – Ende 1944 verstorbenen – pensionierten Kapitän den Haushalt geführt. Nach seinem Tode beauftragten dessen in Rotterdam lebende Verwandte sie damit, das winklige Haus am Ende der Dorpsstraat bis zum Kriegsende in Schuss zu halten – es war nicht die Zeit, um Erbschaften anzutreten. Als Hanna K. Ende Januar/Anfang Februar 1945 verschwand, machte sich niemand über sie Gedanken – es hieß, sie sei aufs Festland zurückgekehrt. In Zwolle aber sei sie nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen nie mehr aufgetaucht.
    »Kann ja immer noch sein«, wandte die Langer ein, »dass sie tatsächlich abgereist ist und dass das Schiff einen Volltreffer …«
    Steigerwald schüttelte den Kopf: »Die Holländer hatten während der Besatzung ihre Nationalflagge aufs Dach gemalt. Die Alliierten haben sie aus Prinzip nicht angegriffen. Und Görings Luftwaffe nicht, weil deutsche Soldaten auf den Booten sein konnten …«
    Lohkamp blieb die Spucke weg: »Woher …«
    »Mein Alter war Flieger. Und hat mich jahrelang mit seinen Memoiren beglückt …«
    Hänsel musterte ihn irritiert, fuhr aber dann mit seinem Bericht fort. Ob Hanna K. mit der Toten im Rathausgarten identisch sei, könne zur Zeit nicht festgestellt werden. Gegenwärtig werde versucht, medizinische Unterlagen über Hanna K. aufzutreiben, aber selbst ein Gebissvergleich sei fast aussichtslos: Die Tote habe nahezu makellose Zähne gehabt.
    »Aber was ist mit dem Grab?«, fragte Brennecke. »Da muss es doch irgendwelche
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