Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
befördert. Seitdem war er für die Überwachung des zivilen Luftverkehrs im Südosten von Virginia verantwortlich.
    Wie jeden Morgen, so trat er auch an diesem 31. Oktober 1962 seinen Dienst mit einem Rundgang durch den Kontrollraum an. Das gehörte zu den alten Gewohnheiten des alten Hasen. Er hatte in der Nacht nicht besonders gut geschlafen und deshalb war er an diesem Mittwoch etwas früher als sonst dran.
    Gerade lehnte er an dem Pult von Hank Gelder, in der Rechten eine dampfende Tasse Kaffee, auf den Lippen ein Lachen nach Hanks letztem Scherz, als plötzlich aus dem Lautsprecher eine Stimme plärrte.
    »Rumba Tango 90133 ruft Norfolk-Flugkontrolle. Können Sie mich hören? Over.«
    Hank sah seinen Vorgesetzten verwundert an. Er war Anfang dreißig, hatte dunkles gescheiteltes Haar und wirkte immer wie ein Falke auf Beuteflug. Jetzt suchte er hektisch die kleinen Täfelchen durch, die fein säuberlich auf einem Brett übereinander gestapelt waren. Auf jeder der länglichen Tafeln war ein Pappstreifen angebracht, auf dem die Nummern und weitere Daten der angemeldeten Flüge standen.
    »Es gibt keine RT 90133«, sagte er empört.
    »Vielleicht wieder so ein Privatflieger, der auf dem falschen Kanal funkt«, meinte Jacob.
    Hank drückte den Sprechknopf am Mikrofon. »Roger, Rumba Tango 90133, hier spricht Norfolk-Flugüberwachung. Ich kann Sie laut und auch einigermaßen klar empfangen, aber Sie funken auf einer reservierten Frequenz. Was soll der Unsinn? Over.«
    »Und ich dachte immer, das ist ein Navy-Kanal. Over.«
    »Sie Witzbold, darum geht es doch gerade. Räumen Sie endlich die Frequenz. Over.«
    »Wir sind aber rein zufällig eine Navy-Maschine«, beharrte die knarzende Stimme. »Rumba Tango 90133 ist vielleicht etwas überfällig, aber deshalb müssen Sie uns nicht gleich so ungastlich empfangen, Kumpel. Over.«
    Irgendetwas an dem Funkgespräch kam Jacob Lausnitzer seltsam vor. Er wusste nicht, was. Aus einem fernen Winkel seines Unterbewusstseins stieg eine Ahnung auf.
    Er nahm das Mikrofon selbst in die Hand und drückte den Sprechknopf.
    »Hier spricht Jacob Lausnitzer, der Leiter der Norfolk-Flugüberwachung. Uns ist kein Flug mit Ihrer Kennung gemeldet. Sie nähern sich dem Luftraum der Vereinigten Staaten. Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass wir ein paar unruhige Tage hinter uns haben. Ich muss sie also bitten sich eindeutig zu identifizieren. Over.«
    Einige Sekunden lang drang nur ein undeutliches Rauschen und Knistern aus dem Lautsprecher. Dann ertönte plötzlich eine andere Stimme. »Lausy, bist du das?«
    Jacob Lausnitzer stutzte. Die Stimme kam ihm irgendwie bekannt vor. Aber der Mann, den er mit ihr in Verbindung brachte, war kurz nach dem Krieg gestorben. Doch woher kannte der andere dann seinen Spitznamen aus der Navy-Zeit? Jacob war mehr als nur verwirrt. Er ärgerte sich, weil er nicht wusste, was er mit diesem mysteriösen Funkdialog anfangen sollte. »Was soll der Unsinn?«, knurrte er deshalb in das Mikrofon. »Identifizieren Sie sich. Sofort! Over.«
    »Du warst schon immer ein Spielverderber, Lausy. Hier spricht Jack Baretti. Der alte Giacomo. Sag bloß, du erinnerst dich nicht mehr an mich?«
    Jacob erstarrte. Sein Gesicht wurde kreidebleich.
    »Was ist mit Ihnen?«, fragte Hank besorgt.
    Lausnitzer sah ihn mit großen Augen an. »Wenn ich nicht genau wüsste, dass es Unsinn ist, würde ich sagen, eben hat eine Stimme aus dem Jenseits zu mir gesprochen. Der Mann, der sich da Giacomo Baretti nennt, ist vor vierzehn Jahren mit seinem Captain über dem Bermudadreieck verschollen.«
    Jetzt trat auch auf Hanks Gesicht ein ungläubiger Ausdruck. Bevor er noch seinen Zweifel in Worte fassen konnte, meldete sich wieder der schnarrende Lautsprecher.
    »He! Lausy, was ist denn mit dir, alter Knabe? Willst du uns jetzt die Jungs von der Air Force auf den Hals schicken oder bist du schon auf der Landebahn, um für einen alten Kameraden den roten Teppich auszurollen? Over.«
    »Ganz schön frech, der Kerl«, bemerkte Hank.
    Ein grimmiges Lächeln umspielte Jacobs Lippen. »Wenn es der Giacomo ist, für den er sich ausgibt, dann macht er gerade höfliche Konversation.« Er drückte erneut die Sprechtaste. »Mister, wenn Sie wirklich Baretti sind, dann geben Sie mir einen kleinen Hinweis, einen Beweis für Ihre Behauptung. Over.«
    »Klar doch, Lausy. Erinnerst du dich noch an unseren Einsatz im Juni ‘44 vor der Normandie? Als uns damals die deutsche Flugabwehr westlich von Barfleur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher