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Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist

Titel: Der Monstrumologe - Der Monstrumologe - The Monstrumologist
Autoren: Rick Yancey
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PROLOG
    Juni 2007

    Der Direktor der Einrichtung war ein kleiner Mann mit roten Backen und dunklen, tief liegenden Augen, dessen markante Stirn von einer Explosion flaumiger weißer Haare eingerahmt wurde, die sich auf dem Marsch zu seinem Hinterkopf lichteten und aus deren Masse sich Haarwirbel wie Wellen erhoben und am schwach rosafarbenen Eiland seiner Glatze brachen. Sein Händedruck war schnell und stark, wenn auch nicht zu schnell und nicht zu stark: Er war es gewohnt, arthritische Hände zu schütteln.
    »Danke, dass Sie gekommen sind!«, begrüßte er mich. Er ließ meine Hand los, legte die dicken Finger um meinen Ellbogen und führte mich durch den verlassenen Korridor zu seinem Büro.
    »Wo sind die anderen?«, fragte ich.
    »Frühstücken«, sagte er.
    Sein Büro lag am anderen Ende des Gemeinschaftsbereichs, ein vollgestopfter, bedrückend enger Raum, dominiert von einem Mahagonischreibtisch mit einem abgebrochenen Vorderbein, das jemand versucht hatte auszugleichen, indem er ein Buch zwischen den Stumpf und den schmutzigen weißen Teppich gelegt hatte. Der Schreibtisch war unter sich neigenden Türmen von Papier, Aktenordnern aus Manilakarton, Zeitschriften und Büchern mit Titeln wie Nachlassplanung 101 und Abschied nehmen von den Lieben versteckt. Auf dem Sideboard hinter seinem Ledersessel stand ein gerahmtes Foto einer nichtmehr ganz jungen Frau, die finster in die Kamera blickte, so als wollte sie sagen Wag es ja nicht mich aufzunehmen! Ich ging davon aus, dass es sich um seine Frau handelte.
    Er ließ sich in seinen Sessel nieder und fragte: »Nun, wie geht es voran mit dem Buch?«
    »Es ist schon fertig«, antwortete ich. »Seit letzten Monat.« Ich zog ein Exemplar aus meiner Aktentasche und reichte es ihm. Er brummte und blätterte mit geschürzten Lippen ein bisschen darin herum, wobei die gerunzelte Stirn ihm die dicken Brauen fast über die dunklen Augen drängte.
    »Tja, freut mich, dass ich meinen Teil dazu beitragen konnte«, sagte er. Er hielt mir das Buch hin. Ich sagte ihm, er könne es behalten. Einen Moment lang schwebte es zwischen uns, während er seinen Blick rasch über den Schreibtisch wandern ließ auf der Suche nach dem stabilsten Stapel, auf dem er es ausbalancieren konnte. Schließlich verschwand es in einer Schublade.
    Ich hatte den Direktor im Jahr davor kennengelernt, während meiner Nachforschungen für das zweite Buch in der Alfred-Kropp-Reihe. Auf dem Höhepunkt der Handlung findet sich der Held am Devil’s Millhopper wieder, einem hundertzwanzig Fuß tiefen Karsttrichter im Nordwesten der Stadt. Ich hatte mich für die örtlichen Legenden und übertriebenen Geschichten über diese Stelle interessiert, und der Direktor war so freundlich gewesen, mich mit einigen Ortsansässigen bekannt zu machen, die in der Gegend aufgewachsen waren und die Erzählungen über diese sagenhafte »Pforte zur Hölle« kannten, die jetzt ein State Park war, vermutlich weil der Teufel abgereist war, um Wanderern und Exkursionsteilnehmern Platz zu machen.
    »Danke«, sagte er. »Ich werde nicht vergessen, es herumgehen zu lassen.«
    Ich wartete darauf, dass er fortfuhr; ich war auf seine Bitte hin gekommen. Er rutschte unbehaglich in seinem Sessel hin und her.
    »Sie sagten am Telefon, es gäbe etwas, das Sie mir zeigen wollten«, half ich ihm behutsam.
    »Oh, ja!« Er schien erleichtert zu sein und redete jetzt schnell. »Als wir es unter seiner persönlichen Habe entdeckten, waren Sie die erste Person, die mir in den Sinn kam. Es schien mir genau Ihr Fall zu sein.«
    »Was entdeckten unter wessen Habe?«
    »Will Henry. William James Henry. Er entschlief letzten Donnerstag. Unser ältester Heimbewohner. Ich glaube nicht, dass Sie ihn kennengelernt haben.«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Wie alt war er?«
    »Nun ja, wir sind nicht wirklich sicher. Er war ein Mittelloser – kein Ausweis, keine lebenden Verwandten. Aber er behauptete, 1876 geboren worden zu sein.«
    Ich starrte ihn an. »Damit wäre er hunderteinunddreißig Jahre alt gewesen!«
    »Lächerlich, ich weiß«, sagte der Direktor. »Wir schätzen, dass er ungefähr Mitte neunzig war.«
    »Und diese Sache von ihm, die Sie gefunden haben, bei der Sie an mich denken mussten?«
    Er öffnete eine Schreibtischschublade und zog einen von brauner Schnur zusammengehaltenen Packen von dreizehn dicken Notizbüchern heraus, deren schmucklose Ledereinbände zu Cremefarbe verblasst waren.
    »Er hat nie geredet«, erklärte der Direktor
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