Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Echo der Flüsterer

Titel: Das Echo der Flüsterer
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
 
    hatten leichten autounfall – stop –
    Jonas zur beobachtung ins krankenhaus eingeliefert – stop –
    er schien nicht schwer verletzt zu sein – stop –
    doch heute frueh erhielten wir nachricht von seinem tod – stop –
    es tut uns so unendlich leid – stop –
    kommt bitte so schnell wie moeglich nach hause – stop –
     
    in liebe, tom und rose
     
     
     
    Das Starten der Motoren kam einem mittleren Erdbeben gleich. So jedenfalls empfand es Sarah. Für einige Augenblicke verdrängte ihr Misstrauen gegen dieses in allen Teilen zitternde Flugzeug sogar die Sorge um Jonas. Der Text des Telegramms verschwamm vor ihrem geistigen Auge und sie umklammerte Roberts Hand noch fester. Als sie zu ihrem Mann aufblickte, lächelte er ihr zu. Seine Zuversicht war nur gespielt. Sie wusste, wie sehr auch er unter der schrecklichen Nachricht litt.
    Die B-24 rollte an das Ende der Startbahn, blieb dort noch einige Sekunden lang mit brummenden Triebwerken stehen, dann brüllten ihre Motoren wie vier angriffslustige Bestien auf und zerrten das schwere Flugzeug vorwärts.
    Natürlich war dies nicht Sarahs erster Flug, aber sie hatte von Anfang an das Gefühl gehabt, er werde anders verlaufen als alle früheren.
    Die Maschine gewann schnell an Geschwindigkeit und hob unter – wie Sarah glaubte – ungewöhnlich heftigen Vibrationen vom Boden ab. Ihr ganzer Körper zitterte mit dem Flugzeug. Robert sagte etwas zu ihr, was in dem Lärm unterging, aber an seiner ausgestreckten Hand war zu erkennen, dass sie aus dem Fenster sehen sollte.
    Widerwillig tat sie es. Die Maschine beschrieb gerade eine weite Linkskurve, dann schwenkte sie auf südwestlichen Kurs ein, um der Küstenlinie von St. George zu folgen. Die Bermudainseln waren ein Paradies, doch Sarah konnte sich an dem türkis schimmernden Meer, den bunten Fassaden der jetzt winzig wirkenden Häuser und der aus der Höhe nur noch zu erahnenden Blütenpracht von Oleander, Hibiskus, Bougainvillea und Rosen nicht erfreuen. Weniger weil ihr das Fliegen an sich zuwider war, sondern vielmehr wegen der schrecklichen Gedanken und Selbstvorwürfe, die nun wieder in ihr aufstiegen. Nördlich der Hauptstadt Hamilton drehte die B-24 auf westlichen Kurs ab und passierte bald darauf Sommerset Island. Erst nach mehr als fünfhundertsechzig Meilen würde Sarah wieder Land sehen können. Das Meer erschien ihr an diesem Tag wie eine schier endlose Wasserwüste.
    »Geht’s dir gut, Schatz?« Das Dröhnen der Motoren war wie ein dicker Vorhang, der Roberts Stimme fast verschluckte.
    Sarah blickte in das besorgte Gesicht ihres Mannes. »Wie könnte es? Warum sind wir nur zu diesem gottverlassenen Flecken geflogen, mitten im Meer, wo unser Sohn uns doch zu Hause braucht? Kannst du mir das sagen, Bob?«
    Robert fühlte ihre innere Zerrissenheit. Er hatte seiner Frau schon über so manches seelische Tief hinweggeholfen. Doch seine sonst so unerschütterliche Ruhe war ins Wanken geraten. Er erzählte irgendetwas von seinem Auftrag, den Stützpunkten bei Kindley Field und am Little Sound, erging sich sogar eine Zeit lang über die Bedeutung der Bermudainseln als Parkett diplomatischer Aktivitäten zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien. »Erst vor zwei Jahren haben unsere Länder bei einer Konferenz auf den Bermudas die Prinzipien der ›Luftfreiheit‹ und der ›Ordnung in der Luft‹ vereinheitlicht, ein epochaler Schritt im internationalen Verkehrsrecht, und…« Er stockte, wurde sich bewusst, was für einen Unsinn er da redete, und stieß hervor: »Vielleicht wird ja noch alles gut, Schatz. Vater hat doch geschrieben, dass auch er nur ›Nachricht‹ von Jonas’ Tod erhalten hat. Es muss ein schrecklicher Irrtum sein…«
    Roberts Stimme versickerte wie eine Meereswoge am Strand. Sarah hörte ihn nicht mehr. Sie blickte an ihm vorbei durch die zerkratzte Scheibe des Bullauges auf das Meer hinab und versuchte zu begreifen, was geschehen war. Eine Zeit lang konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Erst als sie sich dazu zwang, die vergangene Stunde noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren zu lassen, vermochte sie den Faden ihrer Überlegungen wieder dort anzuknüpfen, wo ihn die Rotorblätter dieser Höllenmaschine durchtrennt hatten.
     
     
    Die Betonpiste war ein riesiges glühendes Backblech, auf dem sich Sarahs Gedanken in einen zähen Strom verwandelt hatten. Träge wie Lava, aber auch ebenso unaufhaltsam, wälzten sie sich auf den tiefsten Punkt im Tal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher