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DACKELKRIEG - Rouladen und Rap

DACKELKRIEG - Rouladen und Rap

Titel: DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
Autoren: Ada Blitzkrieg
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Sozialtheorie bewusst nicht mit, denn aus ihnen ist mit großer Sicherheit nichts geworden. Ich hingegen war immer ein
Tartex
-Kind. In unserer Familie stritt man sich nicht darum, ob es der, die oder das
Nutella
heißt, sondern lediglich um den korrekten Artikel vor
Tartex
. Und ich war nun plötzlich für immer entstellt. Das Leben war zwar schön, aber nicht mehr für mich.
    Im Reformhaus, wo wir das
Tartex
für unsere Pumpernickel kauften, lief Mutter regelmäßig zu Hochtouren auf und ich bin mir unsicher, ob sie beim Betreten einer Bio-Supermarkt Filiale in Prenzlauer Berg nicht einfach vor Erregung implodiert wäre, angesichts der vielen Kaufanreize. Mutter mochte einfach solche Dinge wie erdverkrustetes Schrumpelgemüse, außergewöhnliche Nüsse, staubtrockenes Körnerbrot, Vollkorn-Müsli ohne Schokolade, Zinktabletten, Früchteriegel, Quinoa, Linsen und kleines Fallobst, bei dem man nie genau wusste, ob es doch nur Teil einer afrikanischen Schrumpfkopfsammlung war, ausgesprochen gerne. Bulgur und Agar-Agar? Wir kochten mit Polenta, Hirse und anderen mysteriösen Zutaten, die die Kinder aus der Nachbarschaft nicht kannten und deswegen jahrelang fälschlicherweise annahmen, wir wären keine Deutschen, sondern Jesuiten oder irgendeine abgefreakte Randreligion. Amische oder so. Blonde Moslems, die zum Beten ins Reformhaus gehen. Ich war trotz meiner religiösen Abweichungen dennoch immer vollends in den harten Kern und das Herzstück der sozialen Struktur der Klasse integriert, weil ich unglaublich gut Fußball spielen und noch viel besser herumkommandieren konnte.
    Ich bemerkte erst nach einem Kommentar, den Jahre später jemand über meine Person tätigte, dass man mich in der Tat lange Zeit für eine Art Migrantin hielt: „Du kannst aber echt sehr gut Deutsch. Seit wann lebt ihr eigentlich hier?“
    Ich besuchte gerne das Reformhaus mit Mutter. Zum einen, weil der Verkäufer so kränklich und mangelernährt wirkte und ich mir unentwegt vorstellen musste, wie ich ihm beim Bezahlen der harten Pastinaken ein paar DM-Münzen in die schmalen Hände legte und er die schwere Masse nicht halten könnte. Sie würden ihm einfach kraftlos aus den Händen auf den Naturholzboden kullern, wie ein hübsches Murmelspiel aus bakteriell belasteten Zahlungsmitteln. Er würde bestimmt vor Scham und Schwäche grunzend weinen und ich könnte ihm eine kleine Scheibe ungesunder Bärchenwurst aus der achthundert Gramm Großpackung mit Konservierungsstoffen, Hormonen, Geschmacksverstärkern und dem ganzen anderen Shit reichen, die es in allen anständigen Supermärkten für Kinder gab. Dann würde ich mit ernster Stimme „Hier! Bald wirst du wieder gesund, mein Junge!“ sagen und dabei gucken wie
Matula
aus
Ein Fall für zwei
.
    An dieser Kasse lag die Art von Süßigkeiten, die Mutter uns Kindern erlaubte. Dabei waren Süßigkeiten in Reformhäusern eigentlich ein schamloser Euphemismus, der gesetzlich unter strenge Strafe hätte gestellt werden müssen. Wen wollte man hier verarschen? Riegel aus Esspapier mit ungezuckertem Fruchtmus in der Mitte? Rosinen als Nascherei? Ungesüßte Müsliriegel aus dem "vollen Korn" und Fruchtgummi ohne tierische Gelatine - das Reformhaus war die Hölle für Fresssüchtige und Kinder. Nur Mütter mochten diese Dinge, weil sie naiv in eine positive Zukunft blickten und ihnen die fixe Idee von Nachhaltigkeit und sich "durch Kinder verewigen" mit dem Fruchtwasser in den schwangeren Leib geschossen war, dort neun schier unendlich lange Monate wie ein Schläfer geruht hatte, um sich dann mit einem einzigen entsetzlichen Mal, unter tödlichen Schmerzen mit verkrümmten Rückgrat und Todesschreien, auf ein hoffentlich frisches Laken zu entleeren. Und da sich das ätzende Gezedere ja dann bitte aber auch irgendwie gelohnt haben sollte, musste etwas passieren! Purer Egoismus. Mütter wollten dann nach dem ganzen Irrsinn lieber doch keine Kinder, die krank, dumm oder fett waren. Und hier kam das perfide Reformhaus ins Spiel und verkaufte seinen als Süßigkeiten getarnten Bio-Schmuddel an Mütter - genau diejenigen Menschen in der Welt, die doch eigentlich schon genug vom Leben verarscht worden waren. Das gnadenlose Geschäft mit der Teufelsware "Bio" war im vollen Gange und die Lebensmittelmafia ging auf Raubzug im Muttergewissen.
    Plötzlich waren alle Mütter total informiert. Man konnte sich in der Apotheke die Blutzuckerwerte messen lassen, um danach auf direktem Wege ins Reformhaus einzumarschieren
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