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DACKELKRIEG - Rouladen und Rap

DACKELKRIEG - Rouladen und Rap

Titel: DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
Autoren: Ada Blitzkrieg
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wurden die zaghaften Versuche seitens uns Kindern jedes Mal aufs Neue mit einem schroffen „Alle das Gleiche essen? Unsere Familie ist doch keine Diktatur!“ niedergeschlagen. Ich glaube, ich wäre gerne in einer Diktatur groß geworden, wenn es dort Familienpizza gegeben hätte.
    Wer, wie ich, das Glück erwiderter Elternliebe erfährt, der wird dafür vom Leben in vielen anderen Punkten hart abgestraft. "Gerechtigkeit" nennt Gott das vielleicht. Ich nenne es einfach nur "Riesenscheiße". Eine dieser Strafen ist die Kassensituation im Supermarkt: Die nervös stampfende Kundenschlange, die sich an der Kasse bildet, züngelt mit ihren drängelnden Blicken in die offene Wunde der sozialen Angst. Nirgendwo ist das Gefühl zu versagen größer als hier, am Kassenband. Mithalten oder sterben? Nirgendwo lassen sie einen die Leistungsgesellschaft stärker spüren. Im Supermarkt scheitert man immer an der Kasse. Ich tue das. Viele Menschen tun das. Kassensituationen sind das Kryptonit der sozial Blockierten. Sie sind der Endgegner der Sozialangst und ich nähere mich ihnen.
    An der Kasse schweift mein Röntgenblick, durch die mit sexistischer Werbung behangenen Großraumfenster des Supermarktmonsters, auf die geschäftige Straße. Das Kottbusser Tor ist einfach das Kottbusser Tor Berlins. Irgendwie ist hier immer etwas los. Nervig, laut und obszön. Messerstechende Penner, verdrugte Touristen, gut gekleidete Pädophile und Mütter mit tiefergelegten Kinderwagen. Wer vormittags einkaufen geht, hat das Spiel des Lebens bereits längst verloren. Dabei bin ich gar nicht wie die, denke ich und stapele gleich zwei Warentrenner auf das Kassenband, um den Unterschied sichtbar zu verdeutlichen. Die Melone sieht hübsch auf dem schmutzigen Kassenband aus. Wie ein kleiner Catwalk aus Gummi für Lebensmittel, rede ich mir beruhigend ein und bemerke zu meinem großen Entzücken aus den Augenwinkeln, dass
Fuchur
immer noch angeleint vor dem Markt auf sein Herrchen wartet. Runde Zwei ist eröffnet, denke ich.
    Fuchur
ist eine Art Allvater für mich, unter dessen haarigen Pranken ich wohlbehütet meine Kindheit verbrachte. Das zottelige Wesen hat zwar mit großer Wahrscheinlichkeit noch niemals Chlorreiniger gesehen, strahlt dafür aber eine derart stoische Ruhe aus, dass ich während der
Unendlichen Geschichte
jedes Mal selig wegdöse, wenn dieses Wunderwerk der verjährten Fernsehkunst im Bild auftaucht. Wer steckt eigentlich in dem Kostüm? Vielleicht sollte ich mal in diesem Hund nachschauen?
    Einmal habe ich sogar geträumt, mich an der strähnigen Haarmasse des sanften Riesen festzukrallen und unter einem aufregend glitzernden Wasserfall durchzufliegen. Als ich aufwachte, musste ich zu meiner Enttäuschung feststellen, dass der vermeintliche Wasserfall leider nur Blut war, das aus meinem Kopf über mein Gesicht puckerte. Ich hatte mir an den scharfen Kanten des von meinem Vater gebauten Kinderbettes den Scheitel tief aufgeschlitzt.
    Ich schnappe mir, während das Fließband unaufhörlich mit hundertachtzig Stundenkilometern an den Kunden vorbei rauscht, berechnend eine
BiFi
von der Grabbelkasse, um damit später vor
Fuchur
angeben zu können. Dabei denke ich noch, die legen den Scheiß doch nur in die Zielgerade des Marktes, um die Kinder beim Einkaufsendspurt noch total wahnsinnig zu machen. Als ob sie es nicht schon wären!
    Das Prinzip der Grabbelkasse hat bei Kindern wie mir nie funktioniert, denn ich war nicht auf den Kopf gefallen und spürte mit einer zuckergeilen Zigeunerschläue innerhalb kürzester Zeit die Süßigkeitentheke in jeder denkbaren Regalkonstellation auf. Ich war keines dieser Kinder, denen erst viel zu spät an der Kasse klar wurde, dass sie keine Süßigkeiten in den Wagen gelegt hatten. Nein, ich war ein Eichhörnchen in Kindergestalt, denn ich war betriebliche Vorratslogistik gewöhnt, musste ich doch zu jedem Zeitpunkt damit rechnen, dass meine Eltern mich in den Wald fahren könnten. Aus diesem Grund trainierte ich jahrelang bei jeder Gelegenheit meine Beinmuskulatur, um im Notfall, wenn es hart auf hart käme, einem beschleunigenden Kleinwagen erfolgreich hinterher sprinten zu können.
    Eilig packe ich meinen Orangensaftnektar, die Wassermelone, die kleine Formfleischpresswurst und den Kilo-Block jungen Gouda, den ich mir noch schnell an der Käsetheke aus der "Läuft zwar bald ab, aber wenn Sie sich nicht kontrollieren können und über eine geringe Selbstachtung verfügen, bekommen Sie das Stück auch
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