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DACKELKRIEG - Rouladen und Rap

DACKELKRIEG - Rouladen und Rap

Titel: DACKELKRIEG - Rouladen und Rap
Autoren: Ada Blitzkrieg
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machen schwerkrank. Das wussten bereits meine Eltern, die mir als Kind stets einimpften, dass man Klimaanlagen unter keinen Umständen einschalten dürfe. Meine Mutter war in dieser Hinsicht ohnehin immer sehr empfindlich.
    Mütter verfügen über eine besondere Gabe: Sie spüren Zug. "Zug" meint im mütterlichen Wortschatz Zugluft und wird von abgestumpften Bratzenkindern und kinderlosen Frauen wie mir, nur wahrgenommen, wenn sie einem mit dreihundert Stundenkilometern klirrende Kälte, nasses Herbstlaub oder sonstiges grobes Tiergekröse ins Gesicht hämmert. Mutter hingegen hat den Zug aber immer gespürt und konnte die Quelle dann mittels eines speziellen Ortungssystems, das allen Müttern nach der Geburt ihres ersten Kindes im Nackenbereich installiert wird, in Sekundenbruchteilen lokalisieren. Wir mussten deshalb Türen und Fenster stets geschlossen halten. Niemals, und unter keinen Umständen durfte Zug entstehen. Wenn Zug entstand, fühlte sich Mutter nicht wohl, und wir dann auch nicht mehr. Vielleicht wären wir heute ohne sie schon längst tot?
    Dieser Supermarkt ist nicht mein Stammsupermarkt, denn ich nehme einfach was kommt. Ich kann es mir nicht leisten auch noch wählerisch zu sein, denn in der Regel bin ich froh, dass mir überhaupt jemand die Chance eröffnet, meine Vitalfunktionen durch Konsum am Laufen zu erhalten.
    Heute ist ein besonders guter Tag, das spüre ich genau, denn ich habe wahnsinnige Lust mich zu ernähren, Kosmetikprodukte für meinen speziellen Hauttyp zu kaufen und generell einfach ein bisschen an den üblichen Dingen teilzunehmen, die Menschen in meinem Alter so machen: Lebensmittel kaufen, Essen zubereiten, die Speisen verzehren und danach rasch ins Bett gehen. Wenn ich mich nicht durch die Kühle der Klimaanlage erkälte, könnte heute mein Tag werden.
    Jedes Mal, wenn ich gut gelaunt bin, mich gar ausgelassen oder in Hochstimmung fühle, obliege ich der starken Versuchung ein Kind spüren zu lassen, dass es mir intellektuell unterlegen ist. So auch heute. Meine Hände zittern leicht erregt in Hinblick auf die geile Versuchung den direkten Weg zu den vergitterten Spielzeugkörben mit den bunten Bällen zu nehmen, um dort einem Heranwachsenden aufzulauern. Diese Kinderzoos funktionieren in der Regel spiegelverkehrt: Eigentlich gehören die kleinen Gören hinter die Knastgitter der Ballauslage und die Bälle sollten im Markt nach Herzenslaune flanieren dürfen. Spielzeug guckt einem wenigstens nicht unter den Rock oder nascht offensiv Popel vor der Feinschmeckertheke und versaut einem so monatelang den Heißhunger auf griechischen Weichkäse oder helle Weintrauben.
    Irgendjemand wird schon kommen und die krebserregende Synthetik endlich entknasten. Vielleicht sogar damit eines dieser rollenden Spielobjekte ein Kind auf der Straße vor ein Auto locken könnte. Mir sind diese Bälle einfach nur sympathisch. Unterschätzte Gefahr, dämonisches Understatement und ein betörender Geruch nach Polymeren und Weichmachern, die Allergien bei Kindern auslösen können. Leider kommt kein Hersteller auf die grandiose Idee, fotorealistische Tiere auf die ausgehärtete Plastiksoße zu drucken, sondern immer nur verzerrte Säugetiere mit rosa Latzhosen, surreal großen Rave-Augen und herzförmigen Bauchnabeln, die aussehen, als könnten sie ziemlich eklig riechen. Dabei hätten es Tiere überhaupt nicht nötig auf diese Art und Weise abgebildet zu werden, denn Tiere sind im Gegensatz zu Grafikern, Werbern und Produktdesignern naturschön und brauchen kein
Photoshop
.
    Nachdem ich schweigend einige Zeit die todbringenden Bälle betrachtet habe, entscheide ich mich für den Kauf einer Wassermelone, den Spielball der desillusionierten Erwachsenen, und nähere mich dem Regal mit den bedenklichen Softdrinks. Beherzt greife ich wie gewohnt nach dem Drei-Liter-Bügel-Kanister Orangensaftnektar, der für mich ein Zeichen durchdachter Rebellion darstellt.
    In meiner Kindheit wurde ausnahmslos der "gute" Orangensaft mit hundert Prozent Frucht getrunken. Ich konnte den Namen
Dittmeyer
buchstabieren, lange bevor ich den eigenen Namen schreiben konnte. "Frischgepresst" ist für mich eines der Wörter, die mir auch heute noch wohlige Schauer über den Rücken laufen lassen. Aber den frischgepressten Saft aus hundert Prozent Frucht gönne ich mir nicht, denn ich gönne mir überhaupt nichts mehr und mein Anrecht auf Schönes und Belohnung habe ich längst verspielt. Herr
Dittmeyer
hätte bestimmt nicht
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