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 Sturm im Elfenland

Sturm im Elfenland

Titel: Sturm im Elfenland
Autoren: Frances G. Hill,
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Kapitel 1

    Etwas hatte ihn geweckt. Er lag mit aufgerissenen Augen in der Dunkelheit und sein Herz klopfte heftig und angstvoll. In seinen Ohren verklang geisterhaft der Nachhall eines Schreis. Hatte er selbst ihn ausgestoßen oder war er von dem Schrei aus dem Schlaf gerissen worden?
    Er lag still und lauschte. Sein Bett wiegte sich im ruhigen Rhythmus des Astes und das dichte, vom Wind bewegte Laub rauschte leise. Er hörte den dunklen Ruf eines Nachtvogels, das erschreckte Quaken und das Platschen, mit dem ein Frosch ins Wasser sprang. Zweige knackten, als ein größeres Tier, ein Reh oder Einhorn, an seinem Baum vorbeilief.
    Er richtete sich auf und blickte durch die locker geflochtene Wand nach draußen. Der Mond stand hoch am Himmel und warf sein kühles Licht über den Wald. Doch so aufmerksam er auch spähte, der Junge konnte nicht erkennen, was ihn geweckt hatte. Sein Herzklopfen beruhigte sich langsam und er kroch zurück unter seine Decke, streckte sich auf dem süß duftenden, raschelnden Lager aus und schloss die Augen.
    Der Traum, aus dem er so hart gefallen war wie vom Ast eines Baums, war zum Greifen nah. Er wollte ihn weiterträumen, denn es war ein schöner Traum gewesen, voller Licht und Musik, Schönheit und Lachen. Er war mit seinen Eltern auf einem Ball des Elfenkönigs und tanzte dort mit einer seiner Cousinen.
    Der Junge kniff fest die Augen zusammen, um den Traum zurückzuholen. Hatte er Cousinen? Er konnte sich im Halbschlaf nicht daran erinnern. Ihm lag eigentlich nicht viel daran, mit Elfenmädchen zu tanzen, aber trotzdem war es ein schöner Traum gewesen, und wäre da nicht der Schrei gewesen, der ihn geweckt hatte ...
    Er fuhr hoch. Dieses Mal war er sicher, etwas gehört zu haben. Seine Mutter? Rief sie seinen Namen?
    Er sprang aus dem Bett und lief den Ast entlang zur Knotenleiter. Seine nackten Zehen krümmten sich um das faserige Seil. Er verharrte und lauschte wieder. Es war ruhig wie zuvor, aber jetzt wusste er, dass er sich auch den ersten Schrei nicht eingebildet hatte. Dort unten ging etwas vor sich, und es war nichts Gutes.
    So leise er konnte, hangelte er sich am Knotenseil entlang Ast für Ast zum Boden. Im Haus, das in den Baum und um ihn herum geflochten war, schimmerte Licht.
    Er ließ sich auf das Dach des Wohnraums fallen und wartete einen Moment lang mit angehaltenem Atem. Er hörte Stimmen, fremde Stimmen. Sie klangen aufgebracht. Dazwischen die Stimme seiner Mutter, erregt, ängstlich, bittend. Dann wieder eine fremde Männerstimme, kalt und herrisch. Er konnte nicht verstehen was die Stimme sagte.
    Der Junge kroch über das Geflecht des Daches und suchte nach einer Öffnung, die er ein wenig erweitern konnte, um hineinzublicken. Er richtete sich auf und spähte in die Dunkelheit. Dort bewegte sich etwas in der Nähe des Stalls. Er hörte Schnauben und ein gedämpftes Wiehern und ließ sich wieder auf die Knie sinken. Reittiere, die den Fremden gehören mussten. Er kannte die Stimmen von Schneeflocke und Morgentänzerin, Mandelblüte und der kleinen Sonnenfliege. Keine der Stuten wieherte so dunkel.
    Seine Aufmerksamkeit richtete sich wieder auf das Geschehen unter seinen Füßen. Er hörte die Stimme seines Vaters, der laut und wütend sagte: »Ihr könnt uns nicht einfach töten! Wir gehören immer noch zu Auberons Sippe!«
    Der Junge hielt den Atem an. Töten. Sein Vater hatte »töten« gesagt. Er tastete nach seinem Gürtel, aber natürlich trug er nur das lose Hemd, das er in kühlen Nächten zum Schlafen anzog. Kein Gürtel. Kein Messer am Gürtel. Und sein Bogen hing unten im Zimmer neben den Waffen seines Vaters.
    Er bückte sich und bohrte seine Finger zwischen zwei dünneren Zweigen ins Flechtwerk. Er zerrte daran, um ein Guckloch zu schaffen, aber die Zweige gaben nur wenig nach und drohten zu brechen. Der Junge biss sich auf die Lippe und atmete tief und hastig ein. Mit Gewalt würde er nichts erreichen. Er beugte sich über das Geflecht und legte seine Hände behutsam darauf. Er zwang sich, die lauter werdenden, bösen Stimmen aus seinem Kopf auszusperren, und bat den Baum flüsternd darum, seine Zweige für ihn ein wenig biegsamer zu machen.
    Die sanfte Beschwörung glühte warm unter seinen Händen. Das Zweiggeflecht folgte leise raschelnd den Bewegungen seiner Finger und formte sich zu einer Öffnung.
    Der Junge warf sich auf den Bauch und presste das Gesicht an das entstandene Loch. Er schaute auf die Fremden hinab, die sich bedrohlich vor seinen
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