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 Sturm im Elfenland

Sturm im Elfenland

Titel: Sturm im Elfenland
Autoren: Frances G. Hill,
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Räume verursachten, in einen Winkel seines Bewusstseins zu verbannen.
    Er hatte seinen Namen nicht mehr gewusst, als er zwischen den Mauern erwachte. Der dunkle Elf verriet ihm, wie er hieß: Ivaylo.
    Er sagte diesen Namen vor sich hin, aber er wollte ihm nichts bedeuten. Ivaylo. Der Name war ihm gleichgültig, und er entschied, dass dies nicht sein richtiger Name sein konnte.
    Eine Zeit lang musste Munir ihn »Junge« rufen, und »Du, ich rede mit dir«, damit er dem dunklen Elfen seine Aufmerksamkeit schenkte. Dann träumte er eines Nachts, und in dem Traum sah er seine Mutter, die ihn anlächelte, über sein Haar strich und ihn mit ihrer singenden Stimme »Ivaylo« nannte.
    Er erwachte mit Tränen auf den Wangen und fühlte, dass ein Teil von ihm zurückgekehrt war. Noch war er nicht wieder heil, aber die Erkenntnis, dass er Ivaylo war und dass seine Mutter ihn so gerufen hatte, ließ ihn zum ersten Mal seit der Zeit, als das Böse geschehen war, wieder lächeln.
    Doch das Lächeln schwand mit dem eisernen Band, das sich fest um sein Herz legte. Das Gesicht seiner Mutter, ihre Stimme, ihre Berührung – aber wo war sie? Was war geschehen, das ihn von ihr getrennt hatte?
    Wie hieß seine Mutter?
    Der dunkle Elf, Munir, fand ihn, wie er in der Ecke des Steinzimmers kauerte, die Faust gegen den Mund gepresst. Er hatte die ganze Nacht dort gehockt, und als Munir ihm aufhalf, versagten Ivaylos Beine ihm den Dienst. Es war, als wären zwei tote Stöcke an seinen Leib gebunden worden, und Munir musste ihn aufheben und auf sein Bett legen wie einen Kranken oder Verwundeten.
    Ivaylo konnte weder sprechen noch mit einer Bewegung auf Munirs besorgte Fragen antworten. Starr und reglos lag er auf seinem Lager und starrte die Balkendecke des steinernen Zimmers an. Sein gedankenloser Blick wanderte über Risse und Fugen, verfolgte die Maserung des Holzes, und Ivaylo verlor sich in der finsteren Tiefe der Astlöcher und seiner Seele.
     
    Munir, der dunkle Elf, holte ihn schließlich zurück ans Licht. Ivaylo wusste nicht, was die Erstarrung gelöst hatte, aber eines Morgens fingen tanzende Stäubchen in den Lichtfäden, die durch den Fensterladen fielen, seinen Blick ein. Ivaylo glaubte, seinen Namen zu hören, und er wandte den Kopf, der so lange bewegungslos auf dem Kissen geruht hatte. Er blinzelte gegen die Trockenheit in seinen Augen und räusperte sich.
    »Guten Morgen, Ivaylo«, sagte der dunkle Elf. Munir saß auf einem Hocker neben dem Bett und auf seinen Knien lag ein Buch. Der Elf sah müde aus, obwohl das Licht und der Gesang der Vögel dem frühen Morgen gehörten. »Da bist du wieder.« Er klappte das Buch zu und legte seine Hand wie zum Schutz darüber, und Ivaylo erkannte, dass Munir ihn mit der Hilfe des Buches aus dem dunklen Inneren seines Ichs zurückgeholt hatte.
    Ein neues Gefühl gesellte sich zu den anderen: Neugier.
    Ivaylo versuchte, sich aufzusetzen. Er war schwach wie ein geknickter Schilfhalm. Munir, der das Buch sorgsam in ein dunkles Tuch eingeschlagen hatte, legte es auf den kleinen Tisch am Fenster und kam zu Ivaylo. Der Junge duldete den Arm, den der Elf um seine Schultern legte, und ließ sich aufhelfen.
    »Langsam, dass dir nicht schwindlig wird«, sagte Munir. »Du hast lange gelegen.«
    Ivaylo bewegte die Schultern, damit der Elf seinen Griff löste. Es war ihm unangenehm, berührt zu werden. Er murmelte einen Dank und schloss die Augen, denn tatsächlich hatte der Raum begonnen, sich um ihn zu drehen.
    Der Junge hörte, wie Munir hinausging und wenig später zurückkehrte. Dann berührte etwas Kühles seinen Mund. Der Rand eines Bechers. Flüssigkeit schwappte gegen seine Lippen, und er öffnete den Mund, um zu schlucken. Es war Wasser, so rein und klar, als tränke er aus dem Bach neben dem Haus.
    Ivaylo riss die Augen auf. Er stieß Munirs Hand weg und etwas Flüssigkeit schwappte auf seine Brust. »Da ist etwas in dem Wasser«, sagte er und die Anspannung ließ seine Stimme gepresst klingen.
    Munir sah ihn an, ohne den Becher abzustellen. »Was meinst du?« Sein Gesicht war so gelassen und freundlich wie immer, aber Ivaylo glaubte, in den Tiefen der farblos hellen Augen lauernde Wachsamkeit zu erkennen.
    Möwenaugen, dachte der Junge. Die großen silbergrauen Vögel gehörten nicht zu den Waldbewohnern, aber er hatte einmal mit Calixto einen langen Ausritt unternommen, der sie aus dem Schattenwald hinaus ins freie Land geführt hatte. Gegen Abend waren sie an die Küste gelangt und
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