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Todeslauf: Thriller (German Edition)

Todeslauf: Thriller (German Edition)

Titel: Todeslauf: Thriller (German Edition)
Autoren: Jeff Abbott
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    Meine Frau fragte mich einmal: Wenn du wüsstest, dass das hier unser letzter Tag zusammen ist – was würdest du mir noch sagen?
    Wir waren gerade ein Jahr verheiratet. Wir lagen im Bett und sahen zu, wie das Licht der aufgehenden Sonne durch die schweren Vorhänge drang, und ich antwortete ihr wahrheitsgemäß: Alles, nur nicht goodbye. Ich könnte dir nie goodbye sagen.
    Zwei Jahre später begann dieser letzte Tag so wie die meisten Tage bei mir. Ich stand um fünf Uhr auf und stellte den Wagen bei der U-Bahn-Station Vauxhall ab. Die Sozialbauten ein paar Blocks weiter waren ideal für meine kleinen Abenteuer.
    Ich begann meinen Lauf mit einem langen Aufwärmen auf dem offenen betonierten Hof des alten Gebäudes, joggte ein wenig auf der Stelle, um mich in Schwung zu bringen, und rannte schließlich los. Die Muskeln und Bänder müssen Betriebstemperatur haben. Direkt vor mir stand eine Ziegelmauer, einen Meter höher als ich. Ich lief auf sie zu, sprang, stieß mich mit einem Fuß daran ab und erreichte mit den Fingern den oberen Rand der Mauer. In einer einzigen fließenden Bewegung, die ich tausendmal geübt hatte, zog ich mich hoch. Kein schweres Atmen, keine knirschenden Gelenke. Ich versuchte völlig lautlos zu sein. Keine Geräusche zu machen heißt, seinen Körper unter Kontrolle zu haben. Über die Mauer, Sprint über den Platz und in vollem Lauf über eine viel niedrigere Mauer, auf eine Hand gestützt seitlich über das Hindernis.
    Dann hinein ins Hauptgebäude. Vor mir lag ein Treppenhaus, das nach Pisse roch und mit schwarz-weißen Graffiti dekoriert war. Mit einem wohlkalkulierten Sprung stieß ich mich mit dem linken Fuß von der Wand ab und katapultierte mich bis zum Geländer an der Biegung der Treppe. Ein schwieriges Manöver, bei dem ich schon einmal gestürzt war, doch heute landete ich sanft auf dem Geländer und hielt das Gleichgewicht, mit pochendem Herzen und klarem Kopf. Ich spürte das Adrenalin durch meine Adern strömen. Vom Geländer sprang ich auf eine lange Stahlstange und ließ mich hinüber auf den aufgerissenen Boden tragen. Das Haus wurde gerade gründlich saniert. Ich würde nichts beschädigen und keine Spuren hinterlassen. Mag sein, dass ich diese Häuser unbefugt betrete, aber Vandalismus liegt mir fern. Ich lief bis zur Wand gegenüber, sprang hoch, erwischte eine weitere Stahlstange, schwang mich weiter und ließ mich hinabfallen. Bei der Landung rollte ich mich auf dem Boden ab, sodass die Energie des Falls vom Rücken und Hintern aufgefangen wurde, statt von den Knien. Ich sprang auf und lief weiter, zurück ins Haus, auf der Suche nach einem anderen, effizienteren Weg durch das Gebäude. Parkour, die Kunst der Bewegung im öffentlichen Raum, jagt mir das Adrenalin in die Adern und gibt mir gleichzeitig eine tiefe innere Ruhe. Ein einziger falscher Schritt, und ich stürze von der Mauer. Ein aufregendes Erlebnis, das mich in ein Gleichgewicht bringt.
    Dreimal durchquerte ich laufend, springend und kletternd den interessanten Innenraum des Hauses, mit seinen aufgerissenen Böden, den leeren Treppenhäusern, dem herumliegenden Baumaterial, immer auf der Suche nach einer möglichst einfachen, klaren Linie durch die baufälligen Gemäuer. Die Energie brannte in meinen Muskeln, mein Herz pochte, doch ich versuchte stets meine Ruhe zu bewahren. Es ging nur um eins – die beste Route zu finden. In der Ferne begann das Rauschen des Verkehrs, das Licht des neuen Tages erhellte den Himmel.
    Viele finden die angejahrten Sozialbauten hässlich und sehen sie als Schandfleck für die ganze Umgebung. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Parkour-Läufer lieben diese schlichten alten Wohnhäuser. Es gibt so viele Mauern, Geländer und Simse, von denen man springen kann, und keine Bewohner, die beim kleinsten Geräusch die Polizei rufen.
    Beim letzten Durchlauf ließ ich mich vom ersten Stock herunterfallen, erwischte eine Stange mit beiden Händen und landete kontrolliert am Boden.
    »Hey!«, rief eine Stimme, als ich gerade durch die Luft flog. Ich rollte mich ab und ließ die Energie des Aufpralls über die Schultern und den Rücken verpuffen. Im nächsten Augenblick war ich wieder auf den Beinen, machte drei Schritte und blieb stehen.
    Es war kein Wachmann, der mich beobachtete, sondern ein junger Bursche. Er hatte eine Morgenzigarette im Mundwinkel hängen. »Wie machst du das, Mann?«
    »Alles Übung«, antwortete ich. »Stundenlange Übung, sonst nichts.«
    »Als wärst du
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