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Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake

Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake

Titel: Der Pfahl - Laymon, R: Pfahl - Stake
Autoren: Richard Laymon
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Prolog
    Charleston, Illinois
23. Juni 1972
     
    Er war dem Dämon bis zu ihrem Unterschlupf gefolgt. Jetzt wartete er, wartete auf die Morgendämmerung, denn zu dieser Zeit war sie am verwundbarsten.
    Das Schlimmste war, zu warten und zu wissen, was passieren würde. Seiner Erfahrung nach konnte man den Legenden nicht trauen. In vielerlei Hinsicht entsprachen sie einfach nicht der Wahrheit.
    Vampire schliefen nicht in Särgen, sondern in Betten – eine raffinierte List, um die Uneingeweihten zu täuschen. Und das Tageslicht schwächte zwar ihre Kräfte, machte sie aber keinesfalls wehrlos. Auch nach Tagesanbruch konnten sie aus ihrem todesähnlichen Schlaf erwachen. Sie konnten ihn angreifen und verletzen.
    Mit zitternden Fingern rieb er sich über die Wange, betastete die verkrustete Wunde. Die in Urbana hatte spitze Fingernägel gehabt. Die Erinnerung daran ließ ihn schaudern.
    Er hatte Glück gehabt, davongekommen zu sein.
    Vielleicht hatte er seinen Vorrat an Glück damit aufgebraucht. Vielleicht zerkratzte sie dieses Mal nicht nur seine Wangen. Vielleicht schlug sie ihre Zähne in seine Kehle.
    Er zog eine Flasche Bourbon unter dem Fahrersitz hervor, schraubte die Kappe ab und trank. Der Schnaps war lauwarm, doch im Magen brannte er angenehm. Sofort wollte er mehr davon.
    Später, ermahnte er sich, wenn die Arbeit erledigt ist.
    Du musst bei klarem Verstand sein. Der Schnaps hätte dich letzte Woche beinahe draufgehen lassen.
    Wieder strich er über seine zerkratzte Wange.
    Er trank noch einen Schluck, dann zwang er sich, die Flasche zuzudrehen und wieder unter dem Sitz zu verstauen. Als er sich aufrichtete, kam ein Auto um die Ecke gebogen. Die Scheinwerfer brannten, doch der Morgenhimmel war bereits hell genug, um das Blaulicht auf dem Dach zu erkennen. Ein Streifenwagen.
    Er warf sich flach auf den Beifahrersitz.
    Sein Mund war trocken. Sein Herz raste.
    Das ist ungerecht, dachte er. Ich muss wie ein Verbrecher auf der Flucht leben. Meine Arbeit ist genauso wichtig wie die der Polizei.
    Als der Streifenwagen näher kam, hielt er den Atem an. Das Auto fuhr so dicht an ihm vorbei, dass er Knistern und eine verzerrte Stimme aus dem Funkgerät hören konnte. Er hätte die Fensterscheiben nicht herunterkurbeln sollen. Das könnte verdächtig wirken. Aber es war so stickig im Wagen gewesen.
    Er atmete tief durch, als sich die Geräusche entfernten.
    Langsam zählte er bis hundert, dann richtete er sich auf und riskierte einen Blick durchs Heckfenster. Die Rücklichter des Streifenwagens waren bloß noch kleine rote Punkte.
    Er öffnete die Tür, lehnte sich hinaus und betrachtete den Himmel. Hinter dem spitzen Giebel des Hauses, in dem sich der Vampir verkrochen hatte, war es noch immer grau. Er stieg aus und blickte über das Dach des Autos. Im Osten färbte sich der Himmel blassblau.
    Bald würde die Sonne am Horizont auftauchen.
    Dann musste er bereit sein.
    Er setzte sich wieder ins Auto und zog das silberne Kreuz, das er an einer Kette um den Hals trug, unter seinem Hemd hervor. Vor dem Beifahrersitz lag eine Aktentasche auf dem Boden. Er hob sie auf, nahm eine Halskette aus Knoblauchzehen heraus und hängte sie sich um.
    Mit der Aktentasche in der Hand stieg er aus.
    Der ungemähte Rasen war von einem Lattenzaun eingefasst. Er schwang das Gartentor weit auf, so dass es von den hohen Grasbüscheln offen gehalten wurde. Auf dem Rückweg würde er einen Körper mit sich schleppen. Dann wollte er nicht von einem geschlossenen Tor aufgehalten werden.
    Die Verandatreppe ächzte unter seinem Gewicht. Die Fliegengittertür quietschte, als er sie öffnete. Er blockierte sie mit einem Korbsessel.
    Die Haustür war nicht verriegelt. Das machte es einfach. Er brauchte kein Brecheisen. Vorsichtig schlich er ins Haus, ohne die Tür hinter sich zu schließen.
    Er wusste, wo er sie finden würde. Gestern Nacht hatte er beobachtet, wie hinter den Fenstern rechts neben der Veranda das Licht aufleuchtete, kurz nachdem sie ins Haus gegangen war. Dann hatte sie an allen Fenstern die Jalousien heruntergelassen.
    Es war still im Haus. Der schwache Lichtschein, der ins Wohnzimmer drang, legte einen grauen Schleier über das alte Sofa, den Schaukelstuhl, die Lampen und das Klavier. Die Tapeten waren verblasst und fleckig. Über dem Klavier hing ein Ölgemälde, auf dem ein Bach friedlich durch eine Waldlichtung plätscherte. Im Halbdunkel wirkte das Bild düster und bedrückend, als hätte die Morgendämmerung die Bäume noch
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