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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
Autoren: Donna Leon
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sofort zur Bank. Das Schließfach habe ich einmal jährlich in bar bezahlt. Maria kann unmöglich davon gewusst haben.« Schon der Gedanke daran ließ seine Stimme vor Angst beben.
    »Aber sie wusste, dass Sie den Schlüssel hatten?«, sagte Brunetti und ging davon aus, dass sie im Lauf der Jahre herausbekommen haben musste, was das für ein Schlüssel war.
    »Maria ist nicht dumm«, sagte Morandi.
    »Das denke ich auch.«
    »Sie wusste, der Schlüssel war wichtig, auch wenn sie nicht wusste, wofür. Jedenfalls hat sie ihn genommen und ihr gegeben.«
    »Das wissen Sie genau?«
    Morandi nickte.
    »Hat sie es Ihnen gesagt?«
    »Ja.«
    »Wann? Warum?«
    »Zuerst wollte sie nicht damit herausrücken. Aber - wie gesagt, sie kann nicht lügen - irgendwann hat sie mir dann doch erzählt, dass sie ihn genommen hat. Nur nicht, was sie damit getan hatte.«
    »Wie haben Sie es erfahren?«
    Morandi suchte die Fassade des Gebäudes ab wie ein Seemann, der nach einem Leuchtturm Ausschau hält. Seine Lippen verzerrten sich, er stöhnte laut auf, sank nach vorn und [306]  vergrub das Gesicht in seinen Händen. Wie ein Kind begann er unvermittelt zu schluchzen, alle Hoffnung auf künftiges Glück war dahin.
    Brunetti ertrug das nicht mehr. Er stand auf, ging zur Kirche rüber und blieb vor der Steintafel mit dem Hinweis stehen, dass dies die Taufkirche von Vivaldi sei. Minuten vergingen. Er glaubte, das Schluchzen noch immer zu hören, brachte es aber nicht über sich, sich nach dem alten Mann umzudrehen.
    Nachdem er die Inschrift noch einmal gelesen hatte, ging er zu der Bank zurück und nahm wieder Platz.
    Plötzlich packte Morandi ihn am Handgelenk. »Ich habe sie geschlagen.« Sein Gesicht war fleckig gerötet, zwei Haarsträhnen hingen ihm über die Augen. Er schluckte krampfhaft, und dann sagte er es noch einmal: »Ich habe sie geschlagen. Das hatte ich in all den Jahren, die wir zusammen waren, noch nie getan.« Brunetti wandte sich ab, doch Morandi sprach weiter: »Und da hat sie erzählt, dass sie ihr den Schlüssel gegeben hat.«
    Er zerrte an Brunettis Handgelenk, bis der sich wieder zu ihm umdrehte. »Verstehen Sie. Ich musste den Schlüssel haben. Ohne den hätte man mich nicht an das Schließfach gelassen, und ich musste doch für die casa di cura bezahlen. Sonst wäre sie in ein staatliches Heim gekommen. Aber das konnte ich ihr nicht sagen, weil ich ihr dann auch alles andere hätte sagen müssen.« Offenbar hatte er noch etwas Wichtiges loszuwerden, denn er verstärkte seinen Griff, hustete erst einmal und flüsterte dann: »Und dann wäre ich bei ihr unten durch gewesen.«
    Brunetti dachte an Signora Orsonis Schilderung, wie ihr [307]  Schwager seine Gewaltausbrüche gerechtfertigt hatte. Und jetzt bekam er schon wieder so eine Geschichte zu hören. Aber was für ein Unterschied zwischen den beiden. Oder nicht? Mit der Rechten bog er Morandis Finger einen nach dem anderen von seinem Handgelenk zurück. Um dem Nachdruck zu verleihen, nahm er Morandis Hand und legte sie ihm auf den Oberschenkel.
    »Was ist passiert, als Sie bei Signora Altavilla waren?«, fragte Brunetti.
    Morandi schien entsetzt. »Das sagte ich doch schon. Ich habe sie um den Schlüssel gebeten.« Er fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und schob die herabhängenden Haare nach hinten.
    »Gebeten?«
    Weder das Wort selbst noch der Ton, in dem Brunetti es wiederholt hatte, schien Morandi zu überraschen. »Na schön«, sagte er widerstrebend. »Ich habe ihr gesagt, sie soll mir den Schlüssel geben.«
    »Sonst?«
    Morandi erschrak. »Nichts sonst. Sie hatte den Schlüssel, und ich wollte ihn. Hätte sie sich geweigert, wäre ich wieder gegangen.«
    »Sie hätten ihr drohen können«, meinte Brunetti.
    Morandi sah ihn so verblüfft an, dass Brunetti ihm die Bestürzung abnahm. »Aber sie ist doch eine Frau.«
    Brunetti verkniff sich den Hinweis, dass auch Signora Sartori eine Frau sei und dass ihn das nicht davon abgehalten habe, sie zu schlagen. Stattdessen fragte er ruhig: »Was ist passiert?«
    Morandi bekam einen roten Kopf und senkte den Blick [308]  zu Boden. »Haben Sie sie geschlagen?«, fragte Brunetti. Am liebsten hätte er noch hinzugefügt: »So wie Signora Sartori?«
    Ohne aufzublicken, wie ein Kind, das einen Tadel fürchtet, schüttelte Morandi den Kopf. Brunetti dachte nicht daran, sich vom Schweigen des anderen manipulieren zu lassen, und wiederholte seine Frage: »Haben Sie sie geschlagen?«
    Morandi antwortete so leise,
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