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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
Autoren: Donna Leon
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anderer Sie weniger betrügen«, meinte Brunetti.
    Morandi tat das mit einem Schulterzucken ab. »Die wissen doch inzwischen alle, wer ich bin und zu wem ich gehöre.« Er schien tatsächlich davon überzeugt zu sein.
    »Und was, wenn alle weg sind?«, fragte Brunetti.
    Morandi ließ den Kopf sinken und sah nach den Vögeln, die sich noch immer um seine Füße drängten und Futter verlangten. »Dann sind sie weg«, sagte er resigniert, und nach einer längeren Pause: »Vielleicht bekomme ich genug, dass es noch für zwei Jahre reicht.«
    »Und dann?«, setzte Brunetti hartnäckig nach.
    Morandi hob die Schultern und stieß einen langen Seufzer aus. »Wer weiß schon, was in zwei Jahren sein wird«, stöhnte er.
    »Was hat der Arzt Ihnen gesagt?«, fragte Brunetti und wies auf die casa di cura.
    »Wozu wollen Sie das wissen?« Plötzlich hatte Morandi zu seinem frostigen Ton zurückgefunden.
    »Weil Sie so beunruhigt wirkten. Vorhin, als Sie davon erzählt haben.«
    »Und das reicht, dass Sie sich danach erkundigen?«, fragte [303]  Morandi wie ein Anthropologe, der auf eine völlig neuartige Verhaltensform gestoßen ist.
    »Ich finde, ihr ist in ihrem Leben genug Unheil begegnet«, wagte Brunetti sich vor. »Und ich hoffe, sie wird nie mehr welches erleben.«
    Morandis Blick schwenkte zu den Fenstern im zweiten Stock der casa di cura, hinter denen Brunetti den Speiseraum vermutete, wo er Signora Sartori zum ersten Mal gesehen hatte. »Ach, es gibt immer welches«, sagte Morandi. »Immer mehr, immer mehr, und dann ist es aus, und es gibt keines mehr.« Er drehte sich zu Brunetti um und fragte: »Ist es nicht so?«
    »Ich weiß es nicht.« Etwas Besseres fiel Brunetti dazu nicht ein, obwohl er sich mit der Antwort Zeit gelassen hatte. »Ich hatte gehofft, sie hätte ein wenig Frieden gefunden.«
    Morandi lächelte, aber ein schöner Anblick war das nicht. »Wir hatten keine ruhige Minute mehr seit unserem Umzug.«
    »Nach San Marco?«, fragte Brunetti.
    Er nickte, wobei eine Haarsträhne verrutschte. »Davor war alles in Ordnung. Wir haben gearbeitet, wir haben miteinander geredet, und soweit ich weiß, war sie glücklich.«
    »Aber Sie nicht?«
    »Ach«, sagte er und diesmal mit einem aufrichtigen Lächeln, »ich war so glücklich wie noch nie in meinem ganzen Leben.«
    »Aber dann?«
    »Aber dann hat Cuccetti mir die Wohnung angeboten. Damals wohnten wir zur Miete, in Castello. Einundvierzig Quadratmeter; Erdgeschoss. Eine Sardinenbüchse.« Bei der Erinnerung musste er lächeln: »Aber wir waren glückliche Sardinen.«
    [304]  Er holte tief Luft und richtete sich auf. »Und dann hat er von der großen Wohnung angefangen, die wir haben könnten. Über hundert Quadratmeter. Oberste Etage, zwei Bäder. Für uns hörte sich das an wie ein Schloss.«
    Ihm schien sehr daran gelegen, Brunetti eine Vorstellung davon zu vermitteln, was es hieß, auf einundvierzig Quadratmetern leben zu müssen. Brunetti nickte verständnisvoll, und Morandi fuhr fort: »Also sagte ich, dass ich mitmache. Und dass ich Maria überreden würde, ebenfalls mitzumachen, weil Cuccetti meinte, dass wir zwei Zeugen brauchen. Und dann fielen mir die Zeichnungen ein. Die alte Frau hatte Maria davon erzählt.« Plötzlich fragte er sehr ernst: »Meinen Sie, deswegen ist dann alles schiefgelaufen? Weil ich gierig geworden bin und ihm gesagt habe, dass ich die Zeichnungen haben will?«
    »Das weiß ich nicht, Signor Morandi«, sagte Brunetti. »Das kann ich nicht beurteilen.«
    »Maria weiß es: Für sie ist ab da alles schiefgelaufen. Aber sie weiß nicht, warum«, sagte Morandi niedergeschlagen. »Also ist es egal, was ich davon halte oder was Sie jetzt tun werden. Sie weiß, dass etwas Schlimmes passiert ist.« Er schüttelte heftig den Kopf, verzweifelt über die Schuld, die er auf sich geladen hatte.
    »Was ist passiert, als Sie zu Signora Altavilla gegangen sind?«, fragte Brunetti.
    Morandi erstarrte, sah Brunetti an und verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, als habe er genug und werde kein Wort mehr sagen. Dann aber erklärte er zu Brunettis Überraschung: »Ich wollte mit ihr reden, ihr begreiflich machen, dass ich den Schlüssel brauche. Von den Zeichnungen [305]  konnte ich ihr nichts sagen. Wenn sie Maria davon erzählt hätte, hätte sie gewusst, was ich getan habe.«
    »Sie wusste das nicht?«
    »O nein, nichts«, sagte er hastig. »Sie hat die nie gesehen. Die waren nie im Haus. Als Cuccetti sie mir gab, brachte ich sie
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