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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
Autoren: Donna Leon
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mehr, als sie zu wissen glaubten. Ehefrauen und -männer ahnten mehr über den anderen, als ihnen lieb war.
    »Ich muss den Schlüssel haben«, platzte Morandi heraus. »Ich muss ihn haben.«
    »Wozu?«, fragte Brunetti, obwohl er es wusste.
    »Um die Rechnungen zu bezahlen.« Der alte Mann blickte im Zimmer umher und strich mit der Hand über den Samtbezug des Sofas. »Sie wissen selbst, wie es in den staatlichen Heimen zugeht. Da kann ich sie nicht hinlassen.« Bei der Vorstellung kamen Morandi wieder die Tränen, aber diesmal merkte er nichts davon. »Da würde man nicht mal einen Hund unterbringen«, sagte er.
    Brunetti, der seine Mutter nicht dort untergebracht hatte, antwortete nicht.
    »Ich muss ihr das hier bezahlen. Ich kann sie nicht woanders hinbringen, nicht in so ein Heim.« Der Satz endete mit einem erstickten Schluchzen, was Morandi nicht weniger überraschte als Brunetti. Er stemmte sich hoch und ging zur Tür. »Ich halte es hier drin nicht aus«, sagte er und machte sich auf den Weg zum Aufzug.

[300]  28
    B runetti blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, aber diesmal nahm er die Treppe und kam noch vor dem Aufzug unten an. Morandis Miene entspannte sich, als er ihn da stehen sah, zusammen gingen sie in die Frühabendsonne hinaus. Der alte Mann setzte sich wieder auf die Bank, und binnen Minuten hatten die Vögel ihre Flugrouten geändert und landeten nicht weit von seinen Füßen. Langsam rückten sie näher, aber er hatte ihnen nichts zu geben, ja schien sie gar nicht zu bemerken.
    Brunetti setzte sich neben ihn, wieder mit etwas Abstand.
    Morandi griff in seine Tasche und zog Zigarettenpapier und Tabak hervor. Tabakkrümel rieselten ihm auf Hose und Schuhe, aber es gelang ihm, eine Zigarette zu drehen. Er zündete sie an, nahm drei tiefe Züge und lehnte sich zurück; die Vögel ignorierte er, und sie ihrerseits ignorierten den Tabak, der vor ihnen niederfiel. Sie sahen zu Morandi auf, doch ihr entrüstetes Zwitschern machte keinen Eindruck auf ihn. Er paffte weiter, bis der Rauch seinen Kopf umhüllte und er den nächsten Hustenanfall bekam. Schließlich warf er die Zigarette angewidert fort und drehte sich zu Brunetti um.
    »Maria lässt mich im Haus nicht rauchen«, sagte er, und es klang beinahe, als sei er stolz darauf.
    »Weil sie sich Sorgen um Ihre Gesundheit macht?«, fragte Brunetti.
    Die Miene des anderen blieb ausdruckslos. »Ach, wenn es nur so wäre«, flüsterte er und wandte rasch den Blick ab.
    [301]  Morandi schaute sich auf dem campo um, als suche er jemanden, dem es nicht gleichgültig war, ob er rauchte oder nicht. Plötzlich sagte er: »Sie müssen mir den Schlüssel geben, Signore.« Er gab sich alle Mühe, vernünftig zu klingen, aber die Verzweiflung war ihm deutlich anzuhören. Er machte ein ernstes Gesicht, versuchte ein Lächeln, aber das erstarb gleich wieder.
    »Wie viele sind noch übrig?«, fragte Brunetti.
    Morandi sah ihn scharf an. »Was ...«, begann er, gab den Versuch dann aber auf. Er faltete die Hände, klemmte sie zwischen seine Oberschenkel und beugte sich vor. Erst jetzt nahm er die Vögel wahr; furchtlos hüpften sie näher und piepten zu dem vertrauten Gesicht hinauf. Er suchte in seiner Jackentasche und streute die letzten Körner vor seine Füße. Eifrig machten sich die Vögel darüber her.
    Ohne den Kopf zu heben, scheinbar ganz auf die Vögel konzentriert, sagte er: »Sieben.«
    »Wissen Sie, was das für Bilder sind?«
    »Nein.« Morandi zuckte die Achseln. »Ich habe versucht, in Galerien oder Museen ähnliche Bilder zu finden. Da komme ich in meinem Alter ja umsonst hinein. Aber ich kann nichts behalten, und die Namen sagen mir nichts.« Er breitete die Arme aus, eine Geste der Ahnungslosigkeit und Verwirrung. »Also muss ich mich auf den Mann verlassen, der mir sagt, was das für Bilder sind.«
    »Und was sie wert sind«, ergänzte Brunetti.
    Morandi nickte. »Ja. Er war Patient in dem Krankenhaus, als Maria dort noch gearbeitet hat; sie hat mir damals von ihm erzählt. Und dann fiel er mir wieder ein ... als ich sie verkaufen musste.«
    [302]  »Trauen Sie ihm?«
    Morandi sah ihn an, in seinen Augen leuchtete so etwas wie Erkenntnis auf. »Was bleibt mir anderes übrig?«
    »Sie könnten zum Beispiel jemand anderen fragen«, schlug Brunetti vor.
    »Das ist doch alles eine Mafia«, sagte Morandi im Brustton der Überzeugung. »Ob ich den oder einen anderen frage: Übers Ohr gehauen wird man immer.«
    »Aber vielleicht würde ein
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