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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
Autoren: Donna Leon
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war da schon ein Mann«, erwiderte Morandi und fuhr dann leiser fort: »Aber kein sehr guter und auch kein sehr angenehmer.«
    »Aber dann haben Sie sie kennengelernt?«, ermunterte Brunetti ihn.
    Morandi hob den Blick, und wieder sah Brunetti dieses seltsam kindliche Lächeln. »Ja.« Und als sei auch das noch wichtig: »Um halb vier nachmittags.«
    »Ein glücklicher Mensch, der sich an einen solchen Tag so deutlich erinnern kann«, sagte Brunetti und stellte überrascht fest, dass er sich nicht mehr an das Datum erinnern konnte, wann er Paola kennengelernt hatte. Das Jahr wusste er natürlich noch und warum er in der Bibliothek gewesen war und das Thema des Aufsatzes, den er schreiben sollte; er müsste in seinen Universitätsunterlagen nachsehen, wann er dieses Seminar besucht hatte, dann könnte er zumindest den Monat in Erfahrung bringen, aber das genaue Datum war weg. Paola danach zu fragen wäre ihm peinlich, denn wenn sie es aus dem Stand heraus sagen könnte, würde er [291]  sich wie ein Schuft Vorkommen, weil er es vergessen hatte. Genauso gut könnte sie ihn aber auch als sentimentalen Narren bezeichnen, weil er sich an so etwas erinnern wollte, und damit hätte sie wahrscheinlich recht. Demnach wäre Morandi ein sentimentaler Narr.
    »Wie haben Sie sie kennengelernt?«, fragte Brunetti.
    Die Frage entlockte Morandi ein Lächeln. »Ich arbeitete damals als portiere im Krankenhaus; einmal sollte ich mit anpacken, als ein Patient aus seinem Zimmer zur Untersuchung nach unten gebracht werden musste, und da war dann auch Maria, die zusammen mit einer Schwester versuchte, ihn auf die Trage zu legen.« Er starrte die Wand links von Brunetti an, vielleicht sah er dort das Krankenzimmer. »Aber die beiden Frauen waren ziemlich klein und schafften das nicht, also bat ich sie, aus dem Weg zu gehen, und hob den Mann auf die Trage. Die Frauen bedankten sich, Maria strahlte mich an, und ... na ja ...« Er verstummte, aber sein Lächeln blieb.
    »Ich wusste auf der Stelle«, sagte er zu Brunetti, von Mann zu Mann, auch wenn Brunetti annahm, Frauen würden das eher verstehen als Männer, »dass sie die Richtige war. Und nichts in all den Jahren hat daran etwas geändert.«
    »Sie Glücklicher«, wiederholte Brunetti; ob Mann oder Frau, für ihn war jeder, der sich solche Gefühle jahrzehntelang bewahren konnte, ein Glückspilz. Aber warum hatten sie dann nicht geheiratet? Er erinnerte sich an Morandis rüpelhaften Auftritt bei ihrer ersten Begegnung und fragte sich, ob vielleicht mit seiner Familie etwas nicht stimmte. Paola sprach oft von Männern, die eine Mrs. Rochester auf dem Dachboden hätten: War Morandi auch so einer?
    [292]  »Und ob«, sagte Morandi, der immer noch den Schlüssel in der Hand hielt.
    »Wie lange ist Signora Sartori schon hier?«, fragte Brunetti und wies so unschuldig in die Runde, als lägen in seinem Büro nicht die Kopien sämtlicher Zahlungsbelege, die sich seit Signora Sartoris Einzug in die casa di cura angesammelt hatten.
    »Drei Jahre«, sagte er. Zu der Zeit war, wie Brunetti wusste, der erste von Turchettis Schecks eingezahlt worden.
    »Das ist ein sehr gutes Haus. Sie hat großes Glück, hier wohnen zu können«, sagte Brunetti. Die Erfahrungen seiner Mutter ließ er lieber unerwähnt, sondern bemerkte nur: »Ich weiß von Häusern in dieser Stadt, die keine so gute Pflege leisten wie die Schwestern hier.« Und als Morandi dazu schwieg: »Besonders von den öffentlichen Einrichtungen habe ich manches gehört.«
    »Wir hatten großes Glück«, sagte Morandi ernst; entweder bekam er nicht mit, worauf Brunetti hinauswollte, oder er wich ihm bewusst aus. Brunetti war sich nicht sicher.
    »Angeblich soll es hier ja ziemlich teuer sein«, sagte er beiläufig.
    »Wir hatten ein wenig beiseitegelegt«, sagte Morandi.
    Brunetti beugte sich vor und nahm Morandi den Schlüssel aus der Hand. »Sind sie hier?«, fragte er und hielt ihn hoch. Als er keine Antwort bekam, schob er den Schlüssel in die Uhrtasche seiner Hose.
    Morandi legte die rechte Hand auf seinen Oberschenkel, als wolle er die Stelle verbergen, wo der Schlüssel gewesen war. Dann legte er die Linke auf den anderen Schenkel. Er [293]  war noch blasser geworden. »Hat sie es Ihnen erzählt?«, fragte er.
    Da Brunetti nicht wusste, ob er Signora Sartori oder Signora Altavilla meinte, antwortete er: »Es spielt keine Rolle, wer mir das erzählt hat, oder, Signore? Reicht es nicht, dass ich den Schlüssel habe und weiß, was dort
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