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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
Autoren: Donna Leon
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Hände sinken und sagte: »Das ist alles. Aber ich habe ihr nicht weh getan.«
    »Was hatte sie an? Und wo waren Sie?«
    Morandi schloss die Augen und rief sich die Szene ins Gedächtnis. »Wir waren im Flur. An der Wohnungstür. Das sagte ich schon. Sie hat mich nicht in die Wohnung gelassen, nicht weiter als ein paar Schritte in den Flur hinein.« Er sah zu Boden. »Ich weiß nicht, was sie anhatte: eine Bluse, glaube ich. Irgendwas Gelbes.«
    Brunetti sah es noch vor sich: Die Tote hatte im Wohnzimmer gelegen. Dicke blaue Strickjacke, darunter die gelbe Bluse. »Sonst nichts?«, fragte er.
    »Nein. Ich weiß noch, wie ich dachte, dass sie zu dünn angezogen ist. Der Abend war ziemlich kühl.«
    [315]  Als falle ihm jetzt erst auf, wie leer das Zimmer war, sah Brunetti sich um und fragte: »Wo sind die anderen Möbel?«
    »Die musste ich auch verkaufen. Um die badante zu bezahlen, die jeden Nachmittag für drei Stunden zu Maria kommt: Die wäscht sie, bürstet ihr die Haare und sorgt dafür, dass sie immer saubere Sachen anhat.« Brunetti wollte etwas fragen, aber Morandi fuhr fort: »Und das ist teuer, weil die casa di cura nur Pfleger ins Haus lässt, die ordentlich gemeldet sind, und die kosten doppelt so viel, wegen der Steuern.«
    Wind war aufgekommen und wirbelte auf der Piazza alles Mögliche durcheinander; ab und zu blinkten die Fahnen neben der Basilica auf. »Wie soll es weitergehen, Signor Morandi?«
    »Ich werde nach und nach alles verkaufen und kann nur hoffen, dass es reicht, solange sie noch zu leben hat.«
    »Haben ihre Ärzte dazu etwas gesagt?«
    Morandi zuckte die Schultern, keine Wut mehr auf »die Ärzte«. Seine Antwort beschränkte sich auf ein einziges Wort: »Pankreas.« Das sagte Brunetti mehr als genug.
    »Und dann?«
    »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, sagte er, und Brunetti glaubte ihm. »Ich muss nur so lange durchhalten, wie sie lebt, oder?«
    Statt darauf einzugehen, fragte Brunetti: »Und das hier?«, und machte mit einer Geste deutlich, dass er die Wohnung meinte, die einst Cuccettis Frau gehört hatte und auf Morandi übergegangen war, nachdem Cuccetti und seine Frau gestorben waren. »Warum verkaufen Sie nicht einfach?«
    Morandi konnte seine Überraschung nicht verbergen. [316]  »Aber wenn Maria noch einmal nach Hause kommen könnte, vielleicht nur für ein paar Tage, bevor ...?« Er sah Brunetti lächelnd an und wies mit dem Kinn nach dem stürmischen Panorama. »Das möchte sie doch sehen, also ...«
    »Die Wohnung muss sehr viel wert sein«, sagte Brunetti.
    »Oh, das ist mir egal«, sagte Morandi, als rede er von einem alten Paar Schuhe oder einem Packen Zeitungen, den er ordentlich verschürt für die Abfallentsorgung bereitgestellt hatte. »Maria hat keine Verwandten, und ich habe bloß einen Neffen, aber der ist vor fünfzig Jahren nach Argentinien ausgewandert, und seither habe ich nichts mehr von ihm gehört.« Er schien nachzudenken; Brunetti schwieg. »Also nehme ich an, der Staat wird die Wohnung übernehmen. Oder die Stadt. Egal. Das interessiert mich nicht.« Er blickte sich um, sah nach den Deckenbalken und dann wieder aus dem Fenster: Die Fahnen flatterten noch aufgeregter als vorhin, und Brunetti glaubte, den Wind pfeifen zu hören.
    Schließlich sagte Morandi: »Mir hat es hier nie gefallen. Ich hatte nie das Gefühl, das gehört mir. Für die Miete der alten Wohnung in Castello habe ich geschuftet wie ein Hund, da konnte ich mir einbilden, die gehört mir. Uns. Aber die hier - das war zu einfach. Als ob ich sie auf der Straße gefunden oder irgendwem gestohlen hätte. Und sie hat mir nichts als Unglück gebracht, also kann es nur gut sein, wenn ein anderer sie bekommt.«
    »Wo wohnen Sie?«, fragte Brunetti und wusste selbst, was für eine dumme Frage das war, wenn man gerade bei jemandem in der Wohnung stand.
    Aber Morandi hatte kein Problem damit, ihn zu verstehen. »Die meiste Zeit verbringe ich in der Küche. Das ist der [317]  einzige Raum, den ich heize. Im Schlafzimmer schlafe ich nur.« Er drehte sich um, als wolle er Brunetti in diesen Teil der Wohnung führen. Brunetti ließ ihn ein paar Schritte machen, und während der alte Mann ihm den Rücken zuwandte, nahm er den Schlüssel aus der Tasche und legte ihn auf den Tisch vor dem Fenster.
    Brunetti rief ihn zu sich und streckte ihm, als er langsam zum Fenster zurückkam, die Hand entgegen. »Danke, dass Sie mir diese Aussicht gezeigt haben«, sagte er. »Sie ist wunderbar.«
    »Ja,
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