Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
Vom Netzwerk:
Basislager
    »Zu wem soll ich andauernd hinübergeglotzt haben?«
    »Da fragst du noch. Zu der Dunkelhaarigen mit den Spaghettiträgern, zwei Tische weiter.«
    »Wer, ich?«
    »Wer sonst! Alle paar Sekunden hast du einen Grund gefunden, dich umzudrehen. Einmal hast du die Speisetafel an der Wand studiert, dann hast du nach dem Ober gerufen, am Ende hast du nachgesehen, woher es so zieht.«
    »Ich habe mich ja extra so hingesetzt, dass ich den restlichen Raum im Rücken hatte.«
    »Und warum?«
    »Weil ich schon wusste, wie du reagierst.«
    »Ah! Du hast sie also doch gesehen.«
    »Ja logisch habe ich sie gesehen. Ich musste doch an ihr vorbei, als ich reinkam.«
    »Dann hast du dich also extra mit dem Rücken zu ihr gesetzt, weil du sie sonst dauernd angeglotzt hättest!«
    »Nein, weil ich dir gegenüber sitzen wollte.«
    »Jetzt bin ich auch noch schuld! Wenn du wirklich kein Interesse an ihr gehabt hättest, dann hättest du dich ganz locker neben mich gesetzt, ab und zu in ihre Richtung gesehen und sie
nicht
angeglotzt!«
    »Wie glotzt man denn jemanden
nicht
an?«
    »Jetzt reicht’s mir aber. Du drehst mir jedes Wort im Mund herum!«
     
    Beim letzten Satz war sie laut geworden. Er hatte den Klang ihrer Stimme noch stundenlang im Ohr gehabt, selbst als er schon im Zug saß. Er war mit dem Taxi zum Hauptbahnhof gefahren, hatte eine Fahrkarte gekauft und war in einen Zug gestiegen, der ihn Richtung Süden, Richtung Sonne bringen sollte. Ein Glück, dass er selbstständig war, sein kleiner Einmannbetrieb würde auch ein paar Tage ohne ihn auskommen. Niemand würde ihn vermissen. Er konnte sich den Luxus leisten, alles spontan hinzuwerfen und ein paar Tage Auszeit zu nehmen.
     
    »Wenn du wieder
so
anfängst«, hatte er gesagt, »dann brauchen wir ja gar nicht mehr weiterzureden.«
    »Typisch, ganz typisch! Sobald es Schwierigkeiten gibt –«
    Er war aufgestanden und zur Tür gegangen.
    »Ja, hau nur ab, verschwinde!«, hatte sie ihm quer durchs Lokal nachgerufen. »Und lass dich nie wieder bei mir blicken!«
     
    In der Höhe von Bordesholm wurde der Nachhall ihres Streits leiser, nach Neumünster war sein Zorn schon halbwegs verraucht, kurz vor Fulda musste er schon darüber schmunzeln. In München konnte er sich gar nicht mehr so richtig an den Grund für die Auseinandersetzung erinnern. Es war eben einer ihrer zyklisch auftretenden Eifersuchtsanfälle gewesen. Als er die Berge des Voralpenlandes durch das Zugfenster sah, stieg er aus und beschloss, eine Nacht in diesem Kurort mit dem sperrigen Doppelnamen zu verbringen, um am nächsten Tag weiterzureisen. Oder vielleicht zurückzufahren. Er betrat eine Pension, schrieb sich unter falschem Namen und falscher Adresse ein, das fand er prickelnd. Er checkte am nächsten Morgen wieder aus,
Auf Wiedersehen, Herr Zimmermann
, sagte die Wirtin freundlich. Wie, Zimmermann? Ach so, ja natürlich. Jetzt fühlte er sich wie ein verwegener Globetrotter. Er schlenderte noch ein Weilchen im Kurort herum, denn der nächste Zug in den Süden fuhr erst in ein paar Stunden. Herrlich klares Wetter herrschte in diesem Talkessel, und die Berge standen da wie junge Hunde, die spielen wollten. Im Modegeschäft Berndanner & Söhne kaufte er sich eine völlig überteuerte, aber feste Wetterjacke und fuhr mit der Seilbahn hoch auf einen der Berge. Hupfleitenjoch, den Namen fand er lustig. Aber was zum Teufel war eigentlich ein Spaghettiträger? Als er oben bei der Bergstation angekommen war, spazierte er, den Schildern folgend, zu einem Aussichtspunkt. Die Luft war merklich dünner hier in dieser Höhe, das war ungewohnt für ihn, er atmete schwerer. Die Sonne stach auf ihn ein, und der Föhn streckte schon seine knochigen Finger nach ihm aus. Etwas benommen setzte er sich auf einen der großen Steine.
    »Hallo, ist Ihnen nicht gut?«
    »Doch, doch, ich bin bloß ein bisschen zu lange in der Sonne gewesen.«
    »Kommen Sie mit mir, da drüben gibt es eine bequeme Bank. Da sitzt meine Frau, die hat Sonnencreme dabei. Sie müssen unbedingt etwas trinken. Das hilft am besten bei Sonnenstich. Kommen Sie.«
    Er stand auf und ging mit dem Fremden mit. Sie stolperten über ein kleines Geröllfeld.
    »Sind Sie das erste Mal hier in den Bergen?«
    Zunächst stützte ihn der großgewachsene Fremde noch, als der Weg wieder ebener wurde, ließ er locker.
    »Ich glaube, dort drüben ist meine Frau.«
    Das Plateau brach ab, kalter Wind pfiff ihm ins Gesicht. Er sah weit und breit keine Frau. Er sah
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher