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5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)

5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)

Titel: 5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
Autoren: e-book LYX
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»Komm mit mir, und du wirst nie wieder Rechenschaft über deine Wünsche ablegen müssen.«
    Sie sah auf die Hand, die er ihr erwartungsvoll entgegenhielt. Als sie den Blick zu seinen steingrauen Augen hob, erkannte sie einen Hauch von Zweifel, den seine Stimme erfolgreich versteckt hatte.
    Konnte sie das wirklich tun? Mit ihm gehen und ihr bisheriges Leben einfach so hinter sich lassen? Ihre Mutter würde ihr nie wieder auch nur das kleinste bisschen Freiheit gönnen. Sie würde … nicht in der Lage sein, sie zur Verantwortung zu ziehen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie würde frei sein, wirklich frei. War es nicht das, was er ihr versprach? Dass sie tun und lassen können würde, was sie wollte, ohne jemanden um Erlaubnis zu bitten wie ein kleines Kind?
    Jegliches Zögern wich aus ihrer Haltung, und sie ergriff seine Hand mit einer Entschlossenheit, die sie selbst überraschte.
    »Nimm mich mit.«
    Corrie öffnete benommen die Augen. Da war er schon wieder. Dieser Traum, aus dem sie nicht schlau wurde. Während sie träumte, war sie sicher, jedes Detail ihres Gegenübers wahrzunehmen, doch sobald sie erwachte, war sein Gesicht verschwunden, verloren im Land der Träume. Nur seine Augen blieben ihr. Seine Augen und sein Versprechen.
    Mit einem Stöhnen rollte Corrie sich auf die Seite und strich sich das lange, dunkle Haar aus dem Gesicht. Sie brauchte keinen Mann, um frei zu sein, schalt sie sich und starrte in die Dunkelheit ihres Zimmers. Sie könnte ihre Mutter und deren Überfürsorglichkeit jederzeit verlassen. Warum tat sie es aber nicht? Diese Frage hatte sie sich oft gestellt.
    Wie lange schon? Das konnte sie nicht mit Sicherheit sagen. Nur die letzten Monate waren ihr noch im Bewusstsein geblieben. Alles, was davor war, bevor sie von einem Auto angefahren und wochenlang im Krankenhaus gelegen hatte, war verschwommen und die Erinnerungen daran schwer zu greifen.
    Vielleicht war es gerade dieser Umstand, der sie davon abhielt, den Schritt in Richtung Selbstständigkeit zu tun.
    Angst war ein mächtiger Gegner, das wusste Corrie. Als sie das erste Mal im Krankenhaus erwacht war, hatte sie sich an nichts mehr erinnern können. Nicht einmal an ihren Namen. Erst langsam kamen einige Erinnerungen zurück. Daran, wie sie hieß, wer ihre Mutter war, wie alt sie war. Einfache Dinge, banale Kleinigkeiten, aber für Corrie waren sie unendlich wertvoll geworden. Noch erinnerte sie sich nicht an alles, aber der Arzt war zuversichtlich, dass ihre Erinnerungen alle zurückkehren würden, und Corrie glaubte ihm. Wenn es so weit war, war es auch an der Zeit, ihrer Mutter begreiflich zu machen, dass sie alleine zurechtkam. Vielleicht würde diese das dann aber auch selbst erkennen.
    Ihr Nacken schmerzte, und Corrie griff nach dem Anhänger, den sie an einer Kette um den Hals trug. Eine runde, goldene Scheibe, so groß wie ihre Handfläche, mit Schnörkeln und Steinen verziert. Es war ein Geschenk ihrer Mutter gewesen, zur Genesung, als Glücksbringer. Corrie hatte sie auf Wunsch ihrer Mutter nicht mehr abgenommen, seit sie das Kranken haus verlasse n hatten. Wenn sie glaubte, dass die Kette ih re Tochter beschützen würde, wollte Corrie ihr den Gefallen tun.
    Nach ein paar Minuten, als ihre Augen drohten, wieder zuzufallen, drehte Corrie sich auf den Rücken und starrte in die Schwärze über ihr, als könne sie ihre Zimmerdecke sehen. Sie wollte nicht wieder einschlafen und träumen. Der Traum mit dem mysteriösen Mann, der ihr Freiheit versprach, ließ sie ungeduldig werden. Er erinnerte sie an Wünsche, die sie hegte, ihrer Mutter aber nicht nannte, aus Furcht, ihre Überfürsorglichkeit noch zu verschlimmern.
    Doch es gab noch einen anderen Traum, und dieser machte Corrie einfach nur Angst. Darin wandelte sie in einem dichten Nebel, ähnlich dem, der ihre Erinnerungen zu beherbergen schien. In diesem Traum wusste sie nichts mehr: Sie kannte sich selbst nicht mehr, wusste nicht, wo sie herkam oder hinging. Nichts hatte mehr einen Namen, für nichts gab es ein Wort, um es zu benennen. In den letzten Wochen war der Traum häufiger gekommen. Manchmal glaubte Corrie, sie würde nicht mehr aus ihm erwachen und der Traum würde ihre Wirklichkeit übernehmen.
    In den hellen Stunden des Tages versuchte sie, sich begreiflich zu machen, wie unbegründet ihre Angst war, doch selbst dann gelang ihr das nicht wirklich. Die Angst saß tief in ihr. Es war, als wäre dieser Nebel ein eigenständiges Wesen, das langsam von ihr Besitz
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