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Blondine ehrenhalber

Blondine ehrenhalber

Titel: Blondine ehrenhalber
Autoren: Valerie Frankel
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Kapitel 1

    Fragen Sie eine Frau, die eine Schwester hat: Sind Sie die Intelligente oder die Hübsche von Ihnen beiden? Sie hat sicher eine Antwort parat. Vielleicht kommt sie Ihnen sogar mit feinen Unterschieden. Aber letztlich kennt jede Schwester ihre Rolle genau. Sie wird von den Eltern festgelegt, wenn sie selbst noch zu klein ist, um Unterschiede zu bemerken. Für ein Kind schließt »hübsch« natürlich »nicht intelligent« ein — und umgekehrt. Manche Kinder haben es nicht gerade leicht. Sie müssen Komplimente schlucken, die ihren wunden Punkt treffen. Vor allem die hübschen.
    Die beiden Schwestern Amanda und Francesca Greenfield saßen auf Barhockern nebeneinander in dem Café, das sie in Brooklyn Heights führten. Sie nippten an ihren Getränken und starrten hinaus auf die belebte Straße. Welche die Hübsche und welche die Intelligente war, war für einen Fremden offensichtlich, obwohl beide Frauen — trotz der frischen Januarsonne, die über New York strahlte — in eine nachmittägliche Düsterkeit gehüllt waren.
    »Wie wäre es mit dem?«, fragte Amanda. Sie deutete nach draußen auf einen großen, dünnen Mann, der in einen schwarzen Mantel und einen braunen Schal eingemummt war. »Kein Hut, das heißt: keine Glatze. Leichtfüßiger Gang: Ein Mann, der keine Probleme hat.«
    »Wenn er nicht versucht, sie zu kaschieren«, antwortete Francesca. Jeder kannte sie unter ihrem Spitznamen Frank. Seit ihrer Geburt nannte man sie so, was aber nicht heißen soll, dass die Greenfields, ihre Eltern, als ältestes Kind lieber einen Jungen gehabt hätten. Obwohl die Frage im Lauf der Jahre immer wieder aufgekommen war. »Wahrscheinlich tarnt er mit dem Schwung nur, dass er keine Illusionen mehr hat.«
    Der Mann, von dem die Rede war, stolperte leicht, als er am Café vorüberging. Die Blicke der beiden Frauen verunsicherten ihn. Immerhin wurde er begutachtet wie eine aufgespießte Motte.
    »Da! Hast du das gesehen?«, sagte Frank. »Von wegen leichtfüßig! Ein prüfender Blick und er bricht zusammen. Ein klares Zeichen dafür, dass er etwas zu verbergen hat.« Sie hielt kurz inne in der Trinkbewegung. »Er betrügt seine Frau.«
    Amanda schüttelte leicht den Kopf. »Unverheiratet. Das sehe ich an seinen Schuhen. Keine Frau würde ihren Mann mit solchen Tretern aus dem Haus lassen. Das Einzige, was man bei einem Mann vielleicht noch ändern kann, ist seine Kleidung.«
    »Schau!« Frank zeigte jetzt offen auf ihn. »Er geht ins Moonburst.« Der Mann mit den lausigen Schuhen musste sich den Zugang zum Moonburst nebenan hart erkämpfen. Direkt neben dem Café der beiden Schwestern, dem Barney Greenfield’s, hatte zwei Jahre zuvor eine Filiale einer Café-Kette eröffnet.
    Frank rutschte auf dem Barhocker herum, um ihr eigenes schlecht laufendes Café besser überblicken zu können. Nackte Backsteinwände, Holzboden, angeschimmelte Decke. Das ebenerdige Lokal war einst der Gesellschaftsraum eines viktorianischen Brownstone-Hauses gewesen. Tausende von Gästen hatten sich hier aufgehalten, im Café und auch schon vorher. Die Wände waren Zeugen von hundert Jahren Geselligkeit, die Backsteine hatten die Gespräche in sich aufgesogen. Doch an diesem Tag hatten sich nur zwei Gäste eingefunden. Zwei.
    Fünf Sekunden später drehte Frank sich wieder um: Zehn Gäste hatten vergeblich versucht, ins Moonburst zu gelangen, und warteten jetzt mit einigen anderen Leuten im Freien darauf, dass ein Platz frei wurde. Frank seufzte. Es klang wie das Ausströmen von trockener Heizungsluft.
    Ihre jüngere Schwester versuchte, sie aus ihrem Trübsinn zu reißen. »Da ist noch einer.« Sie deutete mit dem Kopf wieder nach draußen auf einen Passanten. »Blond, kleine Hände. Strenge Gesichtszüge bedeuten Entschlossenheit und immensen Ehrgeiz. Rote Lippen: leidenschaftlich von Natur aus, aber zurückhaltend. Es sei denn, er ist mit einer Frau zusammen, die er wirklich liebt.«
    »Hör doch auf!«, sagte Frank. »Dein Spiel deprimiert mich.«
    Keine der Schwestern war zurzeit in festen — oder vorübergehend festen — Händen. Und sie waren es auch schon länger nicht mehr gewesen. Franks letzter Freund Eric war Vertriebsleiter bei der Zeitschrift, für die sie gearbeitet hatte. Nach einer dreijährigen Beziehung hatte er sie von heute auf morgen sitzen lassen. An einem strahlenden Julimorgen war er mit der plötzlichen Erkenntnis aufgewacht, dass Franks »chronische leichte Unzufriedenheit« kein gesundes emotionales Umfeld
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