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Blondine ehrenhalber

Blondine ehrenhalber

Titel: Blondine ehrenhalber
Autoren: Valerie Frankel
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für seine zukünftigen Kinder abgebe. Im Nachhinein, im Laufe von zwei Jahren nachpartnerschaftlicher Existenz, hatte sich Frank der Verdacht aufgedrängt, dass jede Frau, mit der Eric zusammen war, mit einer leichten Unzufriedenheit aus der Beziehung herauskommen würde. Schuld war sein langweiliges Verharren in Routine. Amanda hatte Frank damals gewarnt: Beziehungen zwischen zwei Menschen mit ähnlichen Charakteren — eine Heimtücke des Narzissmus — liefen Gefahr, sich festzufahren, da keiner vom anderen etwas lernte. Diese Weisheit — so versicherte Frank ihrer Schwester — spendete aber auch keinen Trost.
    Seit kurzem war Frank 33. Ihre Zukunft als alte Jungfer sah sie vor sich ausgebreitet liegen wie eine löchrige schwarze Decke. Amanda — sie war 29 — kannte keine Beziehung, die länger als zwei Monate gedauert hatte. Sie verstand nicht, wieso ihre Schwester sich mit der Romantik der Einsamkeit beschäftigen konnte. Amandas Allheilmittel »Du brauchst nur auszugehen und jemanden kennen zu lernen« traf Frank jedes Mal wie ein Keulenschlag. Obwohl sie genau wusste, dass ihre Schwester es nicht böse meinte. Amanda meinte es nie böse. Trotzdem schaffte sie es mühelos, unabsichtlich Schaden anzurichten. Sie war eben eine vergiftete Rose. Bei Franks Geburtstagsessen vergangene Woche hatte sie verkündet (mit einem »Wisst ihr was?«-Tonfall, der zu ihrer diffusen Beobachtung, von der sie ganz beeindruckt war, passte), dass für allein stehende Frauen in New York City der Altersunterschied zwischen 29 und 33 ungefähr eine Million Meilen ausmachte. Und da wollte Amanda immer wissen, warum sie und Frank sich nicht näher standen.
    Einer der Gäste, eine verschrobene alte Dame, die die beiden Schwestern als Lucy kannten, fuchtelte mit ihrer behandschuhten Hand in ihre Richtung. »Gießen Sie nach«, verlangte sie. Drei Tassen hatte sie schon getrunken. Frank zögerte. Zweimal Nachgießen war in Ordnung. Aber Kaffee endlos? Bei ihrem derzeitigen finanziellen Engpass? Die Dame deutete auf das Schild, das an der Kasse klebte. »So steht es auf dem Schild«, erinnerte sie die beiden. Widerwillig brachte Frank ihr die Tasse und stellte sie sanft auf den Tisch, den Mund zu einem wächsernen Lächeln verzogen. Lucy griff nach der heißen Tasse und trank. Frank trat einen Schritt zurück und sah zu, wie ihre Zukunft durch die runzlige Kehle der alten Dame rann.
    Amandas Körper auf der anderen Seite des Raumes durchlief ein leichtes Beben. »Ich hatte gerade ein ganz seltsames Gefühl, Frank. Eine Art Woge der Negativität ist den ganzen Weg von dort, wo du gestanden hast, über die Theke bis hierher zu mir gerollt.« Sie stemmte die Arme in die kurvigen Hüften. »Was du auch getan hast, entschuldige dich bei Lucy«, sagte sie zu Frank.
    »Ich habe überhaupt nichts getan«, protestierte Frank. Das vermeintliche Gedankenlesen ihrer Schwester ging ihr auf die Nerven.
    Amanda hatte lange Zeit behauptet, sie verfüge über eine ungewöhnlich ausgeprägte Intuition. Frank tat Amandas »kosmische Sensibilität« als feines, messerscharfes Beobachtungstalent ab, das an und für sich beeindruckend war. Amandas andere Gaben stellte Frank nicht in Frage: langes, gewelltes kastanienbraunes Haar, makellose, cremig zarte, blütenreine Haut und grasgrüne Augen. Selbst ein Blinder erkannte, dass Amanda blendend aussah. Im Vergleich dazu wirkte Franks Intelligenz oft wie ein Trostpreis der Natur. Die Rollenverteilung hatte nicht offen stattgefunden. Nie hatte ihre Mutter die beiden Mädchen auf ihren Schoß gesetzt und gesagt: »Also Frank, du bist sehr intelligent. Du hast das Alphabet und Rechnen schnell gelernt, aber du hast ein Mondgesicht und Stummelbeine. Wir nennen dich >die Intelligentem Jetzt du, Amanda. Deine Nase könnte nicht zierlicher sein und deine Haare sind wunderbar. Aber du interessierst dich nicht für Bücher. Dich nennen wir >die Hübschem« Nein, die Botschaft war viel subtiler gewesen: Frank wurde für Einser gelobt und für Zweier bestraft (obwohl das selten vorkam). Amanda hingegen sahnte ab für ihre angeborene Grazie und wurde ausgeschimpft, wenn sie zunahm — wozu sie tatsächlich neigte, während Frank Figurprobleme nicht kannte.
    Das Urteil der Eltern hatte jede Entscheidung beeinflusst, die Frank in den letzten dreißig Jahren getroffen hatte. Doch nun war sie an einem neuen Punkt in ihrem Leben angekommen. Jetzt, als Erwachsene, wusste sie, dass Intelligenz mehr wert war als gutes Aussehen.
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