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Die Nymphe Eva

Die Nymphe Eva

Titel: Die Nymphe Eva
Autoren: Carter Brown
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ERSTES KAPITEL
     
    D as Haus, das eindrucksvolle
Klischee einer Direktorenvilla aus der Einkommenskategorie zwischen achtzig-
und hunderttausend Dollar, lag am Rand eines Vorgebirges. Von dem kunstvoll
angelegten parkartigen Garten hatte man einen Blick auf die türkisfarbenen
Tiefen des Pazifischen Ozeans. Ich parkte vor der imposanten griechisch- hollywoodisch inspirierten Säulenhalle und entwand mich dem
Kübelsitz meines neuen Jaguars.
    Eine weißgoldene Nymphe tauchte
plötzlich hinter einem hochragenden Gebüsch auf und ließ dessen exotische
Blüten vor Scham erblassen. Auf ihrem Gesicht lag ein leicht befremdeter
Ausdruck, als zöge sie die Berechtigung eines weltlichen Polizeilieutenants in Frage, so beiläufig in den Olymp hereinzuschlendern ,
ohne auch nur den Hut bei dem diensthabenden Satyr am Tor abzugeben.
    Augenblicklich war ich mir der
Tatsache bewußt, daß ich unter dem Einfluß dieses griechischen Architekturstils
meine Metaphern — oder meine mythologischen Kenntnisse — durcheinandergebracht
hatte. Diese Nymphe war eindeutig nordischer Herkunft. Ein Walhalla-Typ — eine
langgliedrige Blonde, wie sie heutzutage in unserer Vorstellung zusammen mit
Tausenden ihrer Schwestern die Straßen von Stockholm entlangschlendern, bereit,
auf ein Nicken hin ihr Smorgasbord mit einem zu
teilen. Ihr strohfarbiges Haar war glatt und weich und umgab ihren Kopf wie
eine Kappe. Flaumige Ponyfransen milderten die Strenge ihrer Frisur. Unter den
unaufhörlich schräg aufwärts laufenden Brauen spiegelten die Augen mit dem
fragenden Blick exakt die Farbe des türkisfarbigen Meeres wider. Hohe
Backenknochen mit Mulden darunter, eine kleine gerade Nase, ein fest gerundetes
Kinn, alles wies auf die reinen, gesundheitsfördernden Vorzüge des Landes der
Mitternachtssonne hin; es war die herausfordernde Fülle ihrer Unterlippe, die
mich daran erinnerte, daß selbst die Mitternachtssonne gelegentlich untergeht
und die Dinge auf interessante Weise dunkel werden.
    Sie trug einen weißen Pullover,
der die Herausforderung der spitzen, winzigen, exquisit geformten Brüste in
keiner Weise milderte, und kurze weiße Baumwollshorts. Ihr Gesicht, ihre
nackten Arme und ihre langen schlanken Beine, alles war von köstlicher
honigfarbiger Bräune, und sie sah entschieden zum Fressen aus. Aber selbst ein
Kannibale, sofern er noch im Besitz seiner fünf Sinne war, hätte eine so
atemberaubende Schönheit wie sie nicht dem Kochtopf überliefert.
    Die türkisfarbigen Augen hatten
sich bei der Erkundung meiner Anatomie verdüstert.
    »Wer sind Sie?« fragte sie mit
spröder Stimme. »Was wollen Sie?«
    »Hallo!« sagte ich voller
Bewunderung. »Die beiden ewigen und unbeantwortbaren Fragen aller Philosophen
bis hinab ins Altertum. Mein alter Herr war Philosoph — zumal an Zahltagen —,
und Sie erinnern mich an ihn.«
    Ich musterte nochmals in Kürze
dieses faszinierende und unerforschte, von weißem Pullover und Shorts bedeckte
Territorium.
    »Wenn ich es mir freilich so
recht überlege, besteht keine ausgeprägte physische Ähnlichkeit zwischen Ihnen
und meinem alten Herrn«, gab ich zu. »Vielleicht, wenn Sie sich einen Bart
wachsen ließen?«
    »Entweder sind Sie ein
Vertreter für eine Enzyklopädie«, murmelte sie voller Verzweiflung, »oder Sie
sind ein Verrückter.«
    »Ich möchte mit Mrs. Thelma Garow sprechen«,
sagte ich kalt. »Ich habe Sie nicht gebeten, mich aus dem Hinterhalt dieses
Buschs zu überfallen.«
    » Mrs. Garow ist im Augenblick beschäftigt«, fuhr sie mich
an, »und außerdem habe ich Sie nicht aus dem Hinterhalt überfallen.«
    »Das behaupten Sie, Mädchen.«
Ich schielte sie an wie ein Schmierenkomödiant.
    Ihre Augen funkelten plötzlich
wütend. »Wenn Sie sich nicht umgehend zum Teufel scheren«, fauchte sie mit
entschieden unweiblicher Bösartigkeit, »rufe ich die...«
    »Halt, halt!« schrie ich, zog
meine Dienstmarke aus der Gesäßtasche und zeigte sie ihr.
    »Sie — sind ein Polizeilieutenant ?«
    »Lieutenant Wheeler«, sagte ich
formell, »vom Büro des Sheriffs.«
    »Wenn ich mir überlege, daß ich
zu den Leuten gehört habe, die jede Nacht beruhigt einschlafen, weil sie
überzeugt sind, von unserer prachtvollen Polizei beschützt zu sein«, sagte sie
mit schwacher Stimme. »Sie werden für mich ein Anlaß zu permanenter
Schlaflosigkeit sein, Lieutenant.«
    »Kann ich Mrs. Garow sprechen?« Ich bleckte ein wenig die Zähne.
»Schließlich hat sie uns angerufen und nicht wir sie. Für mich
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