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Feuerwogen

Feuerwogen

Titel: Feuerwogen
Autoren: Virginia Kantra
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    1
    A m Abend nach der Hochzeit des attraktivsten Mannes der Insel betrank sich Regina Barone.
    Sich flachlegen zu lassen wäre allerdings noch besser gewesen.
    Regina sah von dem Mechaniker Bobby Kincaid, dessen Blick den feuchten Glanz seiner Bierflasche angenommen hatte, zu dem dreiundfünfzigjährigen Henry Tibbetts, der nach Hering roch, und dachte:
Fette Beute.
Aber auf einer Insel mit einer Ganzjahresbevölkerung von elfhundert Einwohnern hätte ein Schäferstündchen im Vollrausch auf einer Hochzeitsfeier ohnehin gravierende Konsequenzen haben können.
    Und mit Konsequenzen kannte sich Regina aus. Schließlich hatte sie Nick, oder?
    Die Zugbänder des Hochzeitszeltes flatterten im Wind. Da es zur Seite hin offen war, konnte Regina zum Strand hinabsehen, wo sich das glückliche Paar das Jawort gegeben hatte – ein schmaler Geröllstreifen, ein Gewirr aus Felsen, ein sichelförmiges Stück Sand am Rand des ruhelosen Ozeans.
    Nicht gerade der klassische Ort zum Heiraten. Maine, selbst im August, war eben nicht Barbados.
    Regina hievte ein Tablett mit schmutzigen Gläsern hoch; dabei entdeckte sie ihren Sohn, der neben ihrer Mutter an der Tanzfläche stand und von einem Fuß auf den anderen hüpfte.
    Sie spürte, wie ihr Mund und ihre Schultern sich entspannten. Die Gläser konnten warten.
    Sie stellte das Tablett wieder ab und ging quer durch das große weiße Zelt. »Hey, schöner Mann.«
    Als sich der achtjährige Nick umdrehte, sah sie sich selbst in Miniaturausgabe: dunkle italienische Augen, ein schmales, ausdrucksvolles Gesicht und einen großen Mund.
    Regina streckte beide Hände aus. »Willst du mir zeigen, was du drauf hast?«
    Nicks anfängliche Skepsis wurde von einem Grinsen abgelöst.
    Antonia Barone nahm seine Hand. Reginas Mutter war in vollem Bürgermeisterinnenornat – sie trug grellroten Lippenstift und ein zweiteiliges marineblaues Kleid. »Wir wollten gerade gehen«, sagte sie.
    Mutter und Tochter starrten sich an.
    »Ma. Nur
ein
Tanz.«
    »Ich dachte, du hast zu tun«, erwiderte Antonia spitz.
    Seitdem Regina angeboten hatte, das Catering für diese Hochzeit zu übernehmen, hörte ihre Mutter nicht auf zu sticheln. »Ich habe alles im Griff.«
    »Soll ich immer noch heute Nacht auf ihn aufpassen?«
    Regina unterdrückte ein Seufzen. »Ja. Danke. Aber ich möchte trotzdem vorher noch einen Augenblick mit meinem Sohn haben.«
    »Bitte, Nonna«, bettelte Nick.
    »Darüber habe nicht ich zu entscheiden«, sagte Antonia mit einer Stimme, die das Gegenteil nahelegte. »Mach, was du willst. Das tust du sowieso immer.«
    »Schon lange nicht mehr«, murmelte Regina, während sie rasch mit Nick Richtung Tanzfläche ging.
    Doch in den nächsten zehn Minuten freute sie sich einfach nur, wie Nick über die Tanzfläche hüpfte und schlitterte, sich klatschend drehte und wendete, lachte und sich wie jeder andere Achtjährige verhielt.
    Dann wurde die Musik langsamer, und Pärchen eroberten die Tanzfläche.
    Regina, der die Riemchen ihrer Sandalen in die Zehen schnitten, brachte Nick zu ihrer Mutter zurück.
    »Zapfenstreich, Süßer. Du fährst jetzt mit Nonna in der Kürbiskutsche nach Hause.«
    Er hob den Kopf und sah sie an. »Und was ist mit dir?«
    Regina strich ihm das dunkle Haar aus dem Gesicht, wobei sie ihre Hand einen Moment auf seiner weichen Wange ruhen ließ. »Ich muss noch arbeiten.«
    Er nickte. »Hab dich lieb.«
    Sie spürte Mutterliebe unter ihrem Brustbein explodieren. »Ich hab
dich
lieb.«
    Sie sah ihnen nach, wie sie das weiße Mietzelt verließen und den Hügel Richtung Parkplatz hinaufgingen; ihre füllige Mutter und ihr magerer Sohn warfen lange Schatten auf den Rasen. Die untergehende Sonne beschien den Hügelkamm und ließ die Sträucher dort fuchsien- und goldfarben aufleuchten wie verzauberte Rosen aus einem Märchen.
    Es war einer jener Sommerabende, einer jener Tage, die Regina fast glauben machten, dass es so etwas wie ein Happyend tatsächlich geben konnte.
    Aber nicht für sie. Niemals für sie.
    Sie seufzte und drehte sich um. Ihre Füße schmerzten.
    Bobby Kincaid hatte den Bardienst übernommen – für Freibier und um Cal einen Gefallen zu tun. Bobby verdiente gutes Geld in der Werkstatt seines Vaters. Heutzutage musste jeder Sechzehnjährige auf der Insel, dem das Geld aus den Hummerjobs ein Loch in die Tasche brannte, ein Auto haben. Oder einen Pick-up.
    Regina wich aus, als Bobby versuchte, ihr an den Hintern zu fassen. Zu schade, dass er so ein Idiot
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