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Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
Autoren: Diana L. Paxson
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PROLOG
     
    Am Anfang war der Atem.
    Als das erste Feuer auf das Eis des Ursprungs stieß, entfesselte diese Begegnung einen Wind, der die Flammen nährte. Durch jenes dritte Element, den Atem des Lebens und den Geist, der durch alle Welten schweift, verbanden sich Materie und Energie.
    Er streicht über die Oberfläche allen Wassers, und Leben beginnt, sich zu regen; die Bäume des Waldes hauchen ihn aus; das Neugeborene atmet ihn ein und wird zu einem Kind der Zeit.
     
    Am Anfang war das Wort.
    Unsichtbar, zugleich der Kern aller Dinge, wandert es durch alles Leben, selbst allwissend und doch unbekannt. Bewusst drängt es der Welt den Willen auf, sich zu verändern und zu wachsen. Bewusst wird jener Wille aus dem Odem des Windes in Form von Geräuschen geboren…
    Am Morgen der Schöpfung thront der Gott, der den Menschen Atem verlieh, auf dem Baum der Welt. Neun Nächte und Tage verharrt er reglos, ohne Essen, ohne Trinken, bis aus seiner Pein Verständnis erwächst, und mit geheiligten Klängen beschwört er die Ur-Energien der Welt herauf. Eine nach der anderen ruft er sie herbei und verewigt sie in Runen der Macht. Und dann reicht er sie der Welt.
    Der Atem überträgt das Wort.
    In einem Wald im Norden erhebt ein Runenmeister einen Sprechgesang und ruft den Wind an. Die ganze Nacht hindurch tobt der wilde Sturm. Aufrecht steht er da und stellt sich ihm; mit zerzaustem Haar und zerfetzten Kleidern, brüllt er die Namen seines Gottes. Als die Morgendämmerung anbricht und der Wind verebbt, sieht er vor sich den Ast einer Esche, den der Sturm in den Boden gerammt hat.
    Er flüstert ein Dankgebet, zieht ihn heraus und stellt fest, dass er genau die rechte Schwere und Ausgewogenheit für seine Zwecke aufweist. Aus herabgefallenem Holz errichtet er einen Unterschlupf am Fuße eines Hügels, und dort arbeitet er neun Nächte und Tage, ohne zu essen und einzig aus der geheiligten Quelle trinkend.
    Behutsam wird das Holz geglättet und poliert, werden sämtliche Unebenmäßigkeiten hinweggeschliffen. Während er arbeitet, singt er von Sonne und Regen, die den Baum nähren; von der Erde, die ihn hervorgebracht hat; vom Wind, der durch seine Blätter streift. Nachdem er fertig ist, hält er einen glatten Schaft in der Hand, beinahe so lang, wie er selbst groß.
    Mit einem scharfen Stein ritzt er die kantigen Formen der Runen in das Eschenholz, eine nach der anderen; dabei singt er ihre Namen, sodass der Schaft bei den Klängen pulsiert. Mit den Klängen erscheinen Bilder; der Name jeder Rune steht für ein Tor zu einem anderen Reich. Mit Blut, Atem und Speichel färbt und weiht er die Zeichen, und mit jeder weiteren Rune gewinnt der Schaft an Stärke.
    In der achten Nacht vollendet er sein Werk. Für seine Augen scheint der Runenschaft zu schimmern. Nun birgt er die Macht, ohne sie jedoch zu lenken.
    In der Morgendämmerung des neunten Tages holt er jenes eine Ding aus seinem Versteck hervor, das er nicht selbst gefertigt hat. Eine sauber polierte, blattförmige Klinge aus milchigem, rauchigem Stein, die ihm sein Vater vererbt hat. Doch sie ist weit älter.
    Während er sie hält, fliegen ihm Bilder zu, Bilder von ledergedeckten Hütten unter nördlichem Himmel, und er fühlt den eisigen Hauch von ewigem Schnee. Die Seele des Schamanen, der diese Klinge geschaffen hat, behütet sie noch immer und flüstert von Eis, Feuer und grauenvollen Feinden. Seit die Väter der Väter seines Volkes zum ersten Mal mit menschlichen Worten sprachen, wachte diese Klinge über sie; sie entstammt einer Zeit, ehe irgendjemand etwas über Runen wusste.
    Voll Ehrfurcht passt er sie in den Schlitz, den er in den Schaft gearbeitet und mit Leim aus dem Horn der Hufe von Hengsten gefüllt hat. Mit Wolfssehnen umwickelt er sie, dann fügt er zwei Rabenfedern hinzu, auf dass sie in der Brise flattern.
    Nachdem alles vollbracht ist, fühlt das Holz sich anders an. Nicht allein die Ausgewogenheit hat sich verändert; die dem Schaft innewohnende Macht ist nun gebündelt. Als die neunte Nacht anbricht, erklimmt er den Hügel. Der Wind, der mit Einbruch der Dunkelheit aufgekommen ist, flüstert in den Bäumen.
    Der Runenmeister stellt sich der Brise entgegen, und sogleich weht sie stärker. Mit beiden Händen hält er den Speer empor. Wind pfeift den Schaft hinab.
    »Gungnir benenne ich dich, Woden weihe ich dich, auf dass du sein Wort und seinen Willen in der Welt verbreitest!«

I
    Die wilde Jagd
    A.D. 470
     
    Wind pfiff durch die große Halle,
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