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Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt
Autoren: Joerg Riehl
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1.
    Ralf drückte die Klingel, nichts rührte sich.
    Vielleicht würde ein Typ öffnen mit aufgepumpten Muskeln oder Brustbehaarung und zu Kristine »Darling, da ist jemand an der Tür!« rufen. Dann wäre der 20000-Kilometer-Trip für die Katz gewesen. Melbourne schien zwar eine großartige Stadt zu sein - nach dem, was er so auf dem Weg vom Flughafen in die City gesehen hatte -, aber Ralf war nicht zum Schaufensterbummeln hier.
    Die Adresse auf dem Zettel stimmte:
    c/o Schmelzle
10 Argyle Street
Fitzroy 3065
Melbourne, Victoria

Kristine hatte den Zettel am Flughafen schnell noch gekritzelt. Eine Woche braucht ein Brief - in der Zeit, fand Ralf, konnte er es auch selbst schaffen.
    In der Aufregung hatte er vergessen zu fragen: Wer ist eigentlich »Schmelzle« - Familie, Freundin oder Freund? Nun, es klang nicht nach Latin Lover oder so was, eher nach Familie. Kristine hatte für die Australienreise zwar nicht extra Treue geschworen, aber das war einigermaßen klar. Ralf käme nicht mal auf die Idee, was mit einer anderen anzufangen.
    Er nahm den Rucksack ab und drückte noch mal auf die Klingel. Vor dreißig Stunden noch zu Hause im Bett und jetzt: Australien. Ein ganzer Kontinent, voller Berge, Seen und Wasserfälle, mit Wüste, Dschungel und einer Menge Meer drum herum. Wie geschaffen für eine romantische Entdeckungsreise zu zweit, und genau dazu wollte er Kristine entführen.
    In dem Viertel nördlich der City gab es wenig Verkehr, keine größeren Gebäude, nicht mal einen Supermarkt. Die Häuser waren alt und aneinander gestückelt, man konnte sich vorstellen, wie immer eins ans andere gebaut worden war, als die Metropole noch ein Städtchen war. Vom Holz der Dachbalken und Balkone blätterte weiße Farbe, aus den Gärten wucherte üppiges Grün, die Straßen hatten Blumenkinderflair.
    Niemand öffnete. Vielleicht waren alle ans Meer gefahren oder in den Zoo. Ralf drückte ein letztes Mal die Klingel. Er war so auf die Tür konzentriert, dass er nicht merkte, wie von hinten jemand näher kam und fragte: »Willst du zu mir?«
    Das Mädchen war etwa 20, klein, mit kurzen schwarzen Haaren. Die eine Spur zu groß geratene Nase ragte frech aus einem hübschen Gesicht. In der linken Hand hielt sie zwei Tüten Lebensmittel, in der rechten einen Schlüsselbund. Ralf schüttelte Hand samt Schlüssel.
    »Hallo, ich bin Ralf - der Freund von Kristine. Und du?«
    »Miriam. Freut mich, dich kennen zu lernen.«
    Sie nahm den Schlüsselbund kurz in den Mund und sie schüttelten noch mal Hände. Dann sperrte sie auf, winkte Ralf herein und stellte die Tüten in der Küche ab.
    »Kristine hat gar nicht erwähnt, dass du kommst.«
    »Ja, tut mir Leid, ich wollte sie überraschen.«
    »Oh - kein Problem. Das heißt, nicht für mich.« Sie sah ihn irgendwie seltsam an. »Eher für dich: Du kannst gerne ein paar Tage bleiben, aber Kristine ist schon wieder weg.«

2.
    Außer einer Kontaktadresse waren für Sydney vier Pflichtstationen aufgelistet: das Aquarium, Harbour Bridge, Opernhaus, Paddington Market. Kristine steckte den Zettel mit Miriams Empfehlungen wieder ein. Sie reichten bis zu The Beach , so hieß eine Diskothek in Cairns, dem Touristenmekka am Barrier Reef. Aber dahin war es noch ein weiter Weg. Jetzt kam sie gerade erst nach Sydney, zwischen den Fassaden der Hochhäuser war immer wieder das Meer zu erkennen. Der Bus würde gleich halten, sie brauchte nur noch einen Briefkasten für ein paar Postkarten, die sie unterwegs geschrieben hatte, dann konnte sie sich nach einer Bleibe umsehen.
    Die Karten an Eltern und Freundinnen waren erledigt, nur bei einer kam sie nicht recht vorwärts: der an ihren neuen Freund. »Lieber Ralf«, stand da - und ziemlich viel Leere darunter.

    Der Kontakt-Typ auf der Liste hieß David Limb, Miriam und er waren ein Paar, als er noch in Melbourne lebte. Ganz aus war es wohl noch nicht, die zwei planten einen gemeinsamen Urlaub. Er hatte eine Wohnung im Stadtteil Bondi, nahe am Strand. Ein geradezu geniales Basislager, aber das war nicht der Grund, warum Kristine ihn kennen lernen wollte: Sie war wirklich gespannt darauf, was sich Miriam da geangelt hatte.
    In Deutschland waren sie dicke Freundinnen gewesen - bis Miriam diese dumme Geschichte passierte. Da lag die Freundschaft vorübergehend auf Eis, außerdem war die Sache auch einer der Gründe gewesen, warum die Schmelzles letztlich nach Australien auswanderten. In Briefen von Kontinent zu Kontinent hatte sich die Freundschaft in den
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