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Ruth

Ruth

Titel: Ruth
Autoren: Frank G. Slaughter
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    Die Mittagssonne brannte aus
gleißendem Himmel auf die kleine Karawane herab, als ob sie sich über diese
kümmerlichen menschlichen Wesen ärgerte, die es wagten, die Einöde der Wüste
westlich des Flusses Jordan und nördlich des seltsamen Meeres, das kein Leben
kennt, zu durchqueren. Jahrhunderte später beschrieb der Prophet Jeremia diese
Gegend als ein Land der Wüsten und Abgründe, ein Land der Dürre und des
Todesschattens. So war das Land gewesen, als die Kinder Israels es auf der
Suche nach dem verheißenen Land Kanaan in vierzig gefahrvollen Jahren
durchwandert hatten. Und so war es geblieben bis zu diesem Tag.
    Doch nicht nur der Schatten des
Todes lag heute über dem Land. Der Tod selbst war gegenwärtig, sichtbar und
fühlbar am ausgebleichten Schädel eines Ochsen, der neben dem undeutlichen Pfad
lag, den die Karawanen, die gelegentlich zwischen Moab und Israel verkehrten,
in die Erde gezeichnet hatten. Auch weiter voraus lauerte der Tod, wo eine Geierschar
sich aus dem grellen Himmel auf etwas niederließ, das einmal ein Stück Leben
gewesen sein mußte. Vielleicht war es ein Maultier, das aus Barmherzigkeit
getötet worden war, weil es nicht mehr weiter konnte, oder ein Schaf, das,
hoffnungsvoll von den ausgedörrten Feldern Israels zu den grünen Ebenen Moabs
getrieben, sterben mußte, weil es sich auf felsigem Boden den Huf gebrochen
hatte.
    Es konnte aber auch ein Mensch
sein, der verdurstet war, weil ein Dorn seinen Wasserschlauch aufgeschlitzt
hatte, und der den sprudelnden Wassern des Jordans und den Quellen von
Ain-et-Tabeah, die an der Grenze zwischen Moab und Israel eine fruchtbare Oase
entstehen ließen, nicht länger entgegentaumeln konnte. Diese Oase wurde
„Zufluchtsstätte“ oder „Stätte der Begegnung“ genannt. Hier teilte sich der
Fluß, der die Trennlinie zwischen den zwei Ländern bildete, und umschloß eine
kleine Insel. Nach festem Brauch konnten sich Angehörige der beiden
traditionell verfeindeten Völker auf diesem neutralen Boden treffen, um in Frieden
Handel zu treiben. In Wahrheit aber behielt jeder seine Hand am Dolch und
versäumte nicht, regelmäßig auch hinter sich zu blicken.
    Die Flügel des Todesengels
schwebten über der kleinen Karawane, die sich mühsam durch den Sand kämpfte,
und vor allem über dem Maultier, auf dem ein alter Mann saß. Sein Bart war lang
und sein Körper von Krankheit und Hitze ausgedörrt. Seine Augäpfel lagen gelb
unter geschlossenen Lidern, und er konnte ein schmerzliches Stöhnen nicht immer
unterdrücken.
    Die Frau, die auf einem
Maultier neben ihm ritt, hörte einen dieser Schmerzenslaute. Sie streckte ihre
Hand nach dem Alten aus und berührte sanft seine Schulter. „Nur noch ein paar
Stunden, Eli-melech, mein Mann“, sagte sie leise, und Liebe und Mitleid
sprachen aus ihren schönen Augen.
    „Mich dürstet, Noëmi“, gelang
es ihm zu keuchen. „Gib mir zu trinken, oder ich sterbe.“
    „Machlon!“ rief Noëmi befehlend
dem hochgewachsenen jungen Mann im staubigen, geflickten Gewand zu, der sich an
der Spitze der aus fünf Maultieren und zwei Kamelen bestehenden Karawane mühsam
fortschleppte. „Halt einen Augenblick an, während ich deinem Vater zu trinken
gebe. Kiljon“, fügte sie hinzu, „komm, halte den Becher.“
    Der zweite Sohn, ein rundlicher
junger Mensch mit einem Engelsgesicht, übergab die Zügel der Tiere, die er
führte, seinem Bruder Machlon und eilte zurück, um den Becher unter den
Wasserschlauch zu halten. Seine Mutter löste die Schnüre an der Öffnung und
füllte sorgsam den Becher, damit auch nicht ein einziger Tropfen des kostbaren
Wassers verlorenging. Sie gab dem alten Mann zu trinken, den Becher liebevoll
an seine Lippen setzend. Dann füllte sie ihn ein zweites Mal für ihren Sohn
Kiljon, der gierig trank. Der Wasserschlauch war schlaff, denn sie hatten schon
eine weite Strecke zurückgelegt, seit er gefüllt worden war, und es war wenig
genug, mit dem man über viele staubige Meilen bis zur Durchquerung des Flusses
auskommen mußte.
    „Es ist genug für dich da,
Machlon“, rief Noëmi.
    Der ältere Sohn hatte
gedankenvoll den Horizont betrachtet. Nun lächelte er und schüttelte den Kopf.
„Nimm selbst etwas, Mutter“, sagte er. „Es ist nicht mehr weit bis zur Stätte
der Begegnung, ich bin nicht durstig.“ Mit den kräftigen, sensiblen Händen des
Kunsthandwerkers klopfte Machlon den Staub vom schäbigen Gewand, das seinen
schlanken, sehnigen Körper bedeckte, und
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