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0803 - Meleniks Mordnacht

0803 - Meleniks Mordnacht

Titel: 0803 - Meleniks Mordnacht
Autoren: Jason Dark
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Das spürte auch Madame Avide. Sie hatte bei einer Freundin gehockt, Kaffee und Likör getrunken, sich dabei verquatscht, denn es gab einfach zu viel über die Nachbarinnen zu reden. Jetzt aber musste sie nach Hause. Sie wohnte in der Innenstadt, nahe der mächtigen Kathedrale, für die Chartres berühmt war. Unter ihrer Wohnung war ein Café, in dem sich bei schönem Wetter die Touristen vergnügten.
    Marie Avide hatte es plötzlich eilig, als sie durch das Fenster schaute und einen Blitz sah, der wie eine grelle Lanze aus dem Himmel hervorschoss.
    Sie sprang vom Stuhl hoch. »Es wird Zeit, Colette.«
    »Warum denn?«
    »Das Gewitter…«
    Colette wollte die Freundin nicht gehen lassen. »Das zieht schnell vorbei.«
    »Mag sein, aber ich möchte trotzdem gehen.«
    »Dann nimm wenigstens einen Regenschirm mit.« Colette stand auf. Sie ging in den kleinen Flur, wo auch der Mantel ihrer Freundin hing, den Marie Avide rasch überstreifte. Als Colette ihr die Hand mit dem Schirm entgegenstreckte, fragte sie leise. »Wann sehen wir uns wieder?«
    »Ich komme vorbei.«
    »Beim letzten Mal hat es elf Tage gedauert.«
    Marie nickte. »Ich weiß, doch ich hatte leider keine Zeit.« Sie nahm den Schirm entgegen und hielt ihn hoch. »Außerdem habe ich jetzt einen Grund. Ich muss dir schließlich den Schirm zurückbringen.«
    »Das stimmt. Es ist mein einziger.«
    Marie lachte, weil sie wusste, dass Colette ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte. Aber sie war ihr nicht böse, sondern umarmte sie, hauchte ihr Küsse auf die Wangen und verabschiedete sich von der um fast zwanzig Jahre älteren Frau.
    Colette wohnte im zweiten Stock. Das Treppenhaus war eng, die lackierten Stufen glatt. Vorsichtig ging Marie die Holztreppe hinunter. Die rechte Hand ließ sie über den Handlauf gleiten. Den Regenschirm hielt sie in der linken Hand.
    Auf halber Strecke erlosch natürlich das Licht, aber Colette, die vor der Wohnungstür gewartet hatte, schaltete es wieder an.
    »Komm gut nach Hause, Marie.«
    »Danke!«, rief die Angesprochene und öffnete schon die Haustür.
    Sie hatte die Tür noch nicht ganz aufgezogen, als sie die erste Windbö erwischte. Marie duckte sich, als sie die Nische verließ.
    Noch regnete es nicht. Schaute sie aber zu den Wolken hoch, wusste Marie Avide, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die dichten Schleier fielen.
    Die Wolken tobten über den Himmel, der Wind riss sie auseinander, fügte sie wieder zu neuen Figuren zusammen und scheuchte sie dann weiter in Richtung Osten. Hoch über den Dächern der Stadt spielte sich dieses Schauspiel ab, doch der Sturm fand seinen Weg ebenso in die zahlreichen Straßen und Gassen hinein, wo er an all den Dingen rüttelte, die nicht korrekt genug befestigt waren. Papier, leere Dosen und allen möglichen Unrat riss er mit. In dieser Nacht wurden wieder Pfannen von den Dächern fallen und Bäume geknickt werden, davon ging Marie Avide aus, denn in ihrem fünfzigjährigen Leben hatte sie schon zahlreiche Stürme erlebt. In einer ähnlichen Nacht war vor etwa drei Jahren ihr Mann Hugo ums Leben gekommen. Eine Hand hatte ihn erschlagen. Allerdings keine normale, sondern eine mächtige Hand aus Stein. Sie hatte sich von einer der großen Steinfiguren an der Kathedrale gelöst und war mit immenser Wucht gegen seinen Kopf geprallt. Hugo war auf der Stelle tot gewesen.
    Auch sie wohnte nahe der Kathedrale. Wenn sie ihre Wohnung erreichen wollte, musste sie das berühmte Bauwerk sogar passieren.
    In dieser anbrechenden Nacht würde sie Furcht davor haben.
    Den Schirm hielt sie zwischen Körper und Arm festgeklemmt. Da der Wind leider von vorn wehte, musste sie sich ducken, um besser voranzukommen. Als eine besonders starke Bö heranwehte, hatte sie den Eindruck, als würde ihr der Atem von den Lippen gerissen.
    Es war ein Wetter, wie es nur der Höllenfürst persönlich schicken konnte, als wollte er sich dafür rächen, dass vor Hunderten von Jahren in dieser Stadt die mächtige Kathedrale zu Ehren Gottes gebaut worden war.
    Marie Avide ging weiter, sich immer dicht an den Wänden der Häuser haltend. In ihrer Nähe klapperten Fensterläden. Der Wind kannte kein Erbarmen, er rüttelte, wo er nur konnte. Nicht nur einmal warf sie einen besorgten Blick zu den Dächern hoch und hatte dabei immer das Bild ihres erschlagenen, auf dem Pflaster liegenden Mannes vor sich, um dessen Kopf sich eine Blutlache gebildet hatte.
    Marie schüttelte sich, als sie daran dachte. Sie eilte auf eine
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