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Benkau Jennifer

Benkau Jennifer

Titel: Benkau Jennifer
Autoren: Phoenixfluch
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sträubte erneut das Fell und knurrte leise. Helena spürte das Vibrieren an ihrem Bein. Rasch nahm sie ihre Hündin am Halsband und führte sie ins Hinterzimmer, wo sie sie nach einem beruhigenden Streicheln zurückließ und wieder in den Verkaufsraum eilte. Toni und der Mann gingen soeben die Treppen in den Keller hinab. Helena bemühte sich, Puls und Atmung in durchschnittliche Frequenzen zu bekommen, und presste sich die eiskalten Finger an die Wangen, um die Röte zu mildern. Schließlich wandte sie sich wieder den Kunden zu, die über die seltsame Unterbrechung des Verkaufsgesprächs zwar verwundert, aber nicht verärgert schienen. Es war Helenas Glück, dass die Kaufentscheidung schon gefallen war, denn konzentrieren konnte sie sich nicht mehr. Ihre Gedanken entwickelten ihren eigenen Willen und schlichen immer wieder die Treppen hinab. Als dann noch Geigentöne erklangen, war es um Helenas Aufmerksamkeit völlig geschehen.
    Toni spielte nicht besonders gut, das wusste Helena. Diese Klänge waren jedoch keinesfalls das Werk eines Anfängers. Sie glaubte, ein Stück aus Bizets Oper Carmen zu erkennen, doch dann drifteten die Töne in eine völlig andere Richtung und formten Melodien, die sie noch nie gehört hatte, vermutlich etwas Selbstkomponiertes. In jedem Fall klang es wunderschön. Da spielte jemand, der nicht nur ein gewaltiges Können, sondern auch ein nahezu beängstigendes Gefühl an den Tag legte.
    Verärgert, dass er sie so von ihrer Arbeit ablenkte, biss sie die Zähne zusammen und stellte mit zitternder Hand und dementsprechend verkrampfter Schrift eine Quittung für ihren Kunden aus. Sie schlug drei Kreuze, als der alte Herr die bezahlte Gitarre unter den Arm klemmte und mit seiner Frau den Laden verließ.
    Angespannt wie eine Saite lief sie zwischen Blechblasinstrumenten und Flöten auf und ab, darauf wartend, dass die beiden Männer wieder hochkommen und sie endlich ihre Fragen auf den Fremden abfeuern konnte. Aber was zum Teufel sollte sie ihn fragen?
    ‚Hallo, verzeihen Sie mal. Aber bestehen bei Ihnen irgendwelche Anomalien, Ihren Überlebenstrieb betreffend? Springen Sie häufiger von Brücken? Ungewöhnliches Hobby, was gibt Ihnen das? Und wie überstehen Sie das unverletzt?‘
    Ob er ein Geist war? Helena ballte die Fäuste, bis ihre Fingernägel in den Handflächen schmerzten. Lange hatte sie keinen mehr gesehen. Aber nein, diesen Mann hatte sie berührt. Sie hatte versucht ihn festzuhalten, und seine Haut unter ihren Fingern gespürt. Geister waren körperlos, auch wenn sie noch so real aussahen. Niemals konnte man sie berühren. Regen rann durch ihre Leiber hindurch, perlte aber gewiss nicht von ihrer Haut ab.
    Ein Bungee-Seil oder ein Netz war ebenfalls auszuschließen. Sie hatte ihn dort unten liegen sehen, und selbst wenn sie nur seine Umrisse erkannt hatte, war sie in einer Sache ganz sicher: Sein Rückgrat war gebrochen. Dass er nicht einmal zwei Wochen später munter in der Gegend herumlief und Geige spielte, war … nun, es war einfach ausgeschlossen.
    Ungeachtet dessen war es Realität.
    Das Geigenspiel verstummte und wenig später hörte Helena Schritte auf der Treppe. Ihr Herz raste und sie verfluchte sich, weil dieser Mann sie derart nervös machte. Mit leeren Händen trat er in den Verkaufsraum, Toni ging direkt hinter ihm. Erst jetzt fiel Helena die extravagante Kleidung dieses männlichen Mysteriums auf. Er trug eine dunkelbraune Cordhose, ein cremefarbenes Seidenhemd mit hochgeschlagenen Ärmeln und darüber eine abgewetzte Lederweste, die ebenso haselnussbraun war, wie seine Locken, die ihm bis zur Mitte der Stirn reichten. All das wirkte viel zu altmodisch für einen jungen Mann, aber es passte perfekt zu ihm. Mit einem Al-Capone-Hut wäre er als Darsteller aus einem in den Zwanzigern spielenden Film durchgegangen. Helena sah ihn in Gedanken neben Don Corleone in Der Pate ein Angebot machen, das man nicht abschlagen konnte.
    „Freut mich immer wieder, mit dir Geschäfte zu machen, Samuel“, sagte Toni und schüttelte dem anderen zum Abschied die Hand. „Wir hören voneinander und es bleibt dabei. Solche Schätzchen wie diese Violine nehme ich grundsätzlich, da gehst du mit einem Spontankauf nie ein Risiko ein. Der Abnehmer steht vor dir.“
    „Du bist mein Lieblingsabnehmer, alter Gauner.“
    Der Mann – Samuel – lachte. Sein unbeschwertes, amüsiertes Gesicht verärgerte Helena. Wie konnte er Scherze machen, während ihr seinetwegen die Nerven durchgingen?
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