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Benkau Jennifer

Benkau Jennifer

Titel: Benkau Jennifer
Autoren: Phoenixfluch
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nicht verraten, denn dies würde all das zum Einsturz bringen. Was bedeutete, dass er mit ihr sprechen musste. Und, verdammt war er, das wollte er auch. Er lachte bitter. Was sollte er ihr erzählen? Keine Lüge würde erklären, was sie gesehen hatte.
    Wie wäre es mit der Wahrheit?
    Das Lachen verging ihm, ganz so schwarz war sein Humor doch noch nicht. Er hätte gern Zorn gefühlt, aber dort, wo andere Menschen Wut oder Hass empfanden, schmerzte bei ihm nur dumpf die Leere. Dieser Teil von ihm war wirklich gestorben und hatte den jämmerlichen Schatten des Mannes zurückgelassen, der er einst gewesen war. Hunderteinundzwanzig Jahre waren vergangen, seit der Nacht, in der sein Leben geendet hatte, und all das, was danach gekommen war, begann. Ein feuchter Winterabend war es gewesen. Der Abend, der ihn gelehrt hatte, die Nacht zu fürchten und zu vermissen. Die Stunden der Nacht, in denen er Asche war.
    München, November 1888
    Die Euphorie des Triumphs brodelte in Samuels Blut und ließ ihn immer noch schwitzen, obgleich eisiger Wind ihn auf seinem Weg durch die schmalen Gassen des Vororts von München begleitete und seinen wollenen Mantel um seine Beine flattern ließ. Die meisten dieser Straßen waren dunkel, nur mancherorts erhellte das Licht einer flackernden Petroleumleuchte ein paar Meter des Weges und stellte ihm seinen Schatten zur Seite.
    Eine wilde Mischung aus dem soeben errungenen Sieg, dem Schmerz seiner Wunden, sowie der Gewissheit, dass der Gegner in diesem Moment weit Schlimmeres durchmachte, ließ Samuel erneut zufrieden die Fäuste ballen. Der andere hatte ohne jeden Verstand geboxt, dafür mit der Kraft eines wild gewordenen Pferdes. Wie mit Eisen beschlagene Hufe hatten die bloßen Fäuste Samuel erwischt. Nach den ersten Treffern war er davon ausgegangen, in dieser Nacht zu unterliegen. Doch er hatte sich auf seine Stärken besonnen. Seine Schnelligkeit und den ungezähmten Hass, der sich jedes Mal entlud, wenn ihn der erste harte Faustschlag traf; die Tatsache, dass er von diesem weit schwereren Mann gewiss unterschätzt wurde; und die flüchtigen Gedanken an seine Liebste und sein Kind in ihrem Leib, das bald zur Welt kommen würde und auf dessen Geburt sie sich so sehr freuten.
    Samuel brauchte das Geld, denn seiner Familie sollte es an nichts fehlen. An der Medizin, die Elisabeth benötigte, schon gar nicht. Seitdem sie den Typhus überstanden hatte, war ihr Körper schwächlich geworden und häufiger krank als gesund. Die Kosten für den Doktor und dessen Medizin hatten Samuel dazu gebracht, den Nerven kitzelnden Zeitvertreib des Boxens ernst zu nehmen und fortan in Preiskämpfen auf den Straßen zusätzliches Geld zu verdienen.
    An diesem Abend hatte Elisabeth ihn gebeten, daheimzubleiben. Sie war unruhig und ängstlich gewesen, doch er hatte sie nur geneckt und ihr den Sieg versprochen. Vermutlich würde sie schmollen, wenn er heimkam. Heute würde kein Kessel heißes Wasser auf ihn warten, mit dem sie ihm sonst Schweiß und Blut vom Körper wusch. Auf ihre heilenden Hände würde er verzichten müssen und das grämte ihn, wenngleich allein der Gedanke an Betti seine Aggressionen besänftigte. Ihre Nähe war wie eine Melodie für ihn. Ein Schlaflied, das den Krieger in friedlichen Schlummer sang. Heute Nacht wohl nicht, denn Elisabeth war eine stolze Frau, ihre Sanftmut musste er sich durch Taten verdienen und durch Respekt ihr gegenüber, den er am Abend hatte schleifen lassen. Doch morgen schon würde sie ihm verzeihen, denn sie war ebenso stolz wie vernünftig und wusste, dass sie beide das Geld nötig hatten, genau wie Samuel den Kampf.
    Oh ja, sein Herausforderer hatte ihn wahrhaftig unterschätzt, denn er hatte keine Ahnung gehabt, mit welcher Motivation Samuel in den Ring gegangen war. Auch die Hebamme würde die Hand aufhalten, wenn sie bald zur Entbindung kam. Hätte der Bulle von einem Gegner geahnt, welchen Zorn und welch hemmungslose Blutgier seine Treffer in Samuel weckten, so wäre er gewiss gar nicht erst angetreten. Vier Männer hatte es gebraucht, um Samuel schließlich von dem Besiegten wegzuziehen. Einmal in Rage, gab es kein Pardon mehr, und dieser Rausch nahm ihn umso heftiger in Besitz, je stärker sein Gegner war. Dieser war enorm stark gewesen. Jetzt war er halb tot, und so gefiel er Samuel gleich viel besser.
    ‚Alligator‘ nannten sie ihn. Er hatte nie ein solches Tier gesehen, wusste aber, dass er dessen Namen aufgrund seines schlanken, sehnigen Körpers und
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