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Alles bestens

Alles bestens

Titel: Alles bestens
Autoren: Beate Doelling
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The more you know
    Ich hatte mich ausgesperrt, war nackt und hungrig und ohne Schlüssel. Meine Eltern würden am Donnerstag wiederkommen; meine Klasse erst in einer Woche. Es war niemand da, zu dem ich hätte gehen können. Verwandte haben wir nicht in Berlin, und unsere Nachbarn links, mit denen meine Eltern manchmal Sushi essen, waren auf Mallorca. Frau Larmanta, rechts, wollte ich nicht auf den Wecker fallen. Sie ist steinalt und immer auf irgendwelchen Wohltätigkeitsveranstaltungen. Wenn ich bei ihr klingelte, hätte sie bestimmt gedacht, ich käme zum Spenden, obwohl ich ja nichts bei mir hatte, außer meinem Blut. Aber das kann man ja bekanntlich auch spenden.
    Apropos: Mir sitzt noch immer der Schmerz im Rücken, weil sie mir den Arm umgedreht haben wie eine Hühnerkeule, dabei hab ich doch schon geblutet wie verrückt. Ich soll froh sein, sagten sie hinterher, dass sie mich nur in die Zelle gesteckt haben, statt mich in Bonnies Ranch abzuliefern.
    Kennt ihr Bonnies Ranch? Eine Klapse vom Feinsten, im Norden von Berlin. Einmal drin, willste nie wieder raus. Das hat mir mal so ein Patientenarsch erzählt, im Wartezimmer meiner Mutter.
    Sorry, eigentlich konnte ich es noch nie leiden, wenn jemand seinen ganz persönlichen Senf auftischt, möglichst noch in allen Einzelheiten, für jeden Mist um Verständnis heischend. Jeder Scheißamokläufer wird von den Psychoklempnern wie ein verdammtes Puzzle in Einzelteile zerlegt, begutachtet, und wenn die Käseblätter dann alle Einzelteile veröffentlicht haben, kriegen die Leute plötzlich Mitleid mit dem Killer. Hat eine schwere Kindheit gehabt, heißt es dann, der Arme. Aber wer hat das nicht?
    Ich weiß, wovon ich spreche. Meine Mutter ist Psychologin. Bei uns wird seit jeher jede Regung auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt. Manchmal hab ich das Gefühl, bei mir ist beim Zusammensetzen ein Stück von meinem Modellflugzeug dazwischengerutscht und sorgt für Surrealismus pur. Was ja vielleicht ganz witzig wäre, wenn ich es allein für mich auskosten könnte, aber bei uns zu Hause muss man ständig erklären, was man denkt und träumt und fühlt und meint – dieser ganze Mist eben. Das ist es doch, was einen in den Wahnsinn treibt.
    Dabei fing alles ganz harmlos an. Vor genau siebeneinhalb Wochen, im Mai, mit einem Weckerpiepen. Allerdings hatte ich genau dieses für mich so wichtige Piepen nicht gehört. Mit anderen Worten, ich hab verpennt. Klar, das passiert in den besten Familien, deswegen muss nicht gleich Panik aufkommen. Wozu hat man denn eine zweite Instanz im Haus, die sonst keine fünf Minuten nach dem ersten Piepen schon im Zimmer steht? Aber ausgerechnet an dem Tag war meine Mutter nicht da. Ist ja immer so – wenn man diese verdammten Mütter mal braucht, turnen sie auf irgendwelchen Kongressen rum. Sie war an dem Morgen schon sehr früh losgefahren, nach Stuttgart. Dort hielt sie einen Vortrag über Formen von SVV – selbstverletzendem Verhalten, also über Menschen, die sich selber aufritzen, sich die Zunge spalten oder den Penis, wenn ihr wisst, was ich meine.
    An dieser Stelle möchte ich übrigens gleich mal erwähnen, dass ich nicht daran glaube, dass uns noch irgendwas retten kann. Uns, die Menschheit. Überlegt doch mal, was hat uns all unser Wissen denn gebracht, wenn wir jetzt doch wieder mehr glauben als denken und den Scheißpapst anhimmeln oder auf den Messias warten oder auf sonst einen gottverdammten Erlöser. Mal ehrlich, wer von uns will schon erlöst werden? Und wovon? Vom Internet vielleicht?
    Der Glaube versetzt Berge, hieß es, als ich klein war. Heute müsste man sagen, er sprengt sie – Dynamit im Gürtel, Gebetbuch mitnehmen, Lunte anzünden, anschnallen, Leute, und ab ins Paradies. Schneller, weiter, höher als jede Cruise-Missile .
    Aber zurück zu dem Tag, als mein Wecker klingelte und meine Mutter auf dem Kongress und mein Vater angeblich für drei Tage auf einer Knochen-Fortbildung war und ich noch in anderen Welten wandelte, mit fest geschlossenen Augen. An dem Tag wollten wir nämlich auf Klassenfahrt gehen. Die ganze 10 a und ich. Als ich dann irgendwann im Morgengrauen aufwachte, war es schon zehn vor acht, und um acht wollten wir uns am Zoo treffen. Wie ein Idiot bin ich ins Badezimmer gewankt und wusste nicht, was ich zuerst machen sollte, pinkeln, Zähne putzen oder Haarpracht kämmen. Ich stand wie gelähmt vor dem Spiegel und sah mich an. Oder vielmehr, ich begegnete mir.
    Ihr könnt euch das vielleicht
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