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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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›Verbanne es in den hintersten Winkel deines Herzens und tue so, als ob es nicht existiert‹«, unterbrach ihn Léonie. Dann sah sie ihm tief in die Augen und fragte: »Möchtest du mir vielleicht etwas sagen?«
    Schweigen. Guido nahm einen Schluck von seinem Tee und murmelte schließlich: »Auch dieses Jahr bist du nach Varenna gefahren, um dich mit diesem Mann zu treffen.«

4
    L éonie hielt mit beiden Händen die Tasse umklammert, die siegerade zum Mund führen wollte, und blieb stumm.
    Â»Seit ich euch das erste Mal zusammen gesehen habe, ist viel Zeit vergangen«, fuhr Guido fort.
    Wieder ein langes Schweigen. Aus dem Garten drangen die Stimmen und das Gelächter der Kinder, die gerade eine Schneeballschlacht machten, zu ihnen herein.
    Â»Beim ersten Mal habe ich euch rein zufällig überrascht. Ich habe mich nach einer Filmlocation umgesehen und euch entdeckt. Da hat es mir fast den Boden unter den Füßen weggezogen. Der Mann an deiner Seite war sehr attraktiv, und ihr schient euch wirklich wohl miteinander zu fühlen.«
    Guido sprach ganz gelassen, den Blick aufs Fenster gerichtet, vor dem der Schnee fiel. »Als du wieder nach Hause gekommen bist, habe ich in meinem Arbeitszimmer geschlafen. Aber am Tag darauf habe ich dich strahlen sehen«, fuhr er fort. »Da habe ich zum ersten Mal seit unserer Hochzeit gemerkt, wie hoffnungslos ich in dich verliebt bin. Ich wusste nicht, was ich tun soll, und habe mich schließlich an eine Privatdetektei gewandt, die dich monatelang beschattet hat, ohne auch nur das Geringste zu entdecken. Sie hat nur herausgefunden, dass du dich einmal im Jahr für wenige Stunden mit diesem Mann triffst, jedes Mal am zweiundzwanzigsten Dezember. Ich habe versucht, dich aus deinem Schweigen zu reißen, aber mir fehlte der Mut nachzuhaken, weil ich viel zu viel Angst hatte, dich zu verlieren. In all den Jahren war ich mehr als nur einmal versucht, dir nach Varenna zu folgen. Doch stattdessen bin ich zu Hause geblieben und habe gebetet, dass du zu mir zurückkehrst. Nach jedem Treffen habe ich versucht, mir einzureden, dass es das letzte wäre, dass diese Geschichte irgendwann aufhören würde. Doch nichts weist darauf hin, dass deine Affäre mit dem Mann aus Marseille irgendwann einmal vorbei ist. Deshalb bin ich bereit, dich frei zu geben, wenn du beschließen solltest, mich zu verlassen. Aber ich möchte, dass du weißt, dass ich dich zutiefst liebe und dass du die Frau meines Lebens bist.«
    Mit zitternden Händen stellte Léonie ihren Kräutertee ab.
    Stumme Tränen liefen ihr über die Wangen, als sie sagte: »Warum hast du so lange gewartet, um mir das zu sagen?«
    Â»Weil ich ein Cantoni bin, und die Cantonis schweigen, wie du weißt.«
    Sie trocknete ihre Tränen und sagte: »Und ich dachte immer, du wärst nach wie vor in Amaranta verliebt und in deinem Herzen wäre kein Platz für eine andere Liebe. Aber ich hatte das verzweifelte Bedürfnis, geliebt zu werden.«
    Â»Du weißt also Bescheid … von wem denn?«, fragte er leise.
    Â»Von Großvater Amilcare.«
    Â»Und du hast nie mit mir darüber geredet«, stellte er traurig fest.
    Â»Ich habe mich der Familientradition angepasst«, erwiderte sie verbittert.
    Â»Die so viel unnötiges Leid über uns gebracht hat«, sagte Guido und griff nach ihrer Hand. »Amaranta war lange der Inbegriff der Leidenschaft für mich, wenn auch eine amour fou . Doch seit vielen Jahren gibt es nur noch dich. Ich liebe dich, begehre dich und möchte dich mit niemandem teilen, nicht mal einen Tag im Jahr.«
    Jetzt ist der Moment der Wahrheit gekommen, dachte Léonie. Plötzlich wurde sie von einer unglaublichen Wut gepackt. Sie sprang auf und sagte anklagend: »Du hast mich geheiratet und jahrelang leidenschaftlich eine andere geliebt. Und jetzt sagst du einfach so, dass du mich schon immer geliebt hast. Dass du eifersüchtig bist und ich dich habe leiden lassen. Dass du keinen anderen neben dir duldest. Und da du so großzügig bist, gibst du mir die Möglichkeit, mich zu entscheiden. Wie kannst du es wagen? Erinnerst du dich noch an unsere Hochzeitsnacht? Ich war Jungfrau und hatte große Angst. Doch dir ist nichts Besseres eingefallen als: ›Na gut, dann versuchen wir es eben ein anderes Mal.‹ Du hast dich umgedreht und bist eingeschlafen. Klar, du warst immer vorbildlich, hast
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