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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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Milch, die er auf den Tisch stellte.
    Â»Guten Tag, Signora. Guten Tag, Signore«, flüsterte er.
    Guido erwiderte den Gruß, Léonie lächelte ihm zu. Sie mochte den alten Nesto, der schon seit vielen Jahren im Dienst der Familie stand. Als sie die große Villa zum ersten Mal betreten hatte, hatte er sie fast väterlich willkommen geheißen, so als habe er sie ermutigen wollen, sich von all dem Prunk nicht einschüchtern zu lassen.
    Nachdem sich der Diener wieder zurückgezogen hatte, sagte Guido zu seiner Frau: »Du bist sehr elegant heute.«
    Sie trug einen alten schwarzen Rollkragenpulli und eine graue Flanellhose.
    Â»Danke, mein Schatz«, sagte sie.
    Â»Und du strahlst mehr als sonst«, fuhr er leicht missbilligend fort.
    Léonie sah ihn verwirrt an.
    Im sanft beleuchteten, angenehm warmen Wintergarten klangen Guido Cantonis Worte fast wie ein Vorwurf.
    Ein verbittertes Lächeln huschte über das Gesicht ihres Mannes, als er nachsetzte: »Die meisten Frauen blühen im Frühling auf. Aber du wirst kurz vor Weihnachten schöner. Das war schon immer so.«
    Was wollte ihr sonst so wortkarger Mann, der sich nur, wenn er schrieb, wortgewandt und geistreich ausdrückte, wohl damit sagen?
    Â»Alles in Ordnung?«, fragte sie. Vielleicht hatte Guido etwas herausgefunden? Aber das war vollkommen ausgeschlossen! Mögli cherweise probierte er auch nur einen Dialog für ein neues Drehbuch mit ihr aus, wie es durchaus schon vorgekommen war.
    Guido hatte bereits vor ihrer Heirat aufgehört, für das Familien unternehmen zu arbeiten. Er war lieber Schriftsteller als Wasserhahnfabrikant. Auch wenn die Familie ihren Reichtum den Cantoni-Armaturen verdankte, lebte Guido von seinen Einnahmen als Drehbuchautor.
    Â»Ja, bei mir schon. Und bei dir?«, erwiderte er fast schon aggressiv.
    In diesem Moment betrat Cavalier Renzo Cantoni den Raum und mit ihm der Duft der essenziellen Öle, mit denen ihn die Physiotherapeutin massiert hatte. Er trug einen eleganten dunkelblauen Morgenmantel und dazu passende Samtpantoffeln.
    Guido ging ihm entgegen und zog den gepolsterten Stuhl zurück, auf dem sein Vater mit mürrischem Gesicht Platz nahm: Morgens war er stets schlechter Laune.
    Er griff nach der silbernen Glocke neben seinem Teller und läutete Nesto herbei.
    Â»Es geht mir ausgezeichnet, mein Schatz«, nahm Léonie den Faden wieder auf, nicht ohne hinzuzufügen: »Wie du bereits sagtest: Kurz vor Weihnachten blühe ich auf, als wäre schon Frühling.«
    Â»Eben, eben!«, flüsterte er und stand auf, um zur Anrichte zu gehen und sich noch ein Stück von dem Kuchen zu nehmen.

2
    L éonie errötete, so als hätte sie Hitzewallungen, sagte aber nichts darauf.
    Nesto trat näher, einen Silberlöffel mit Eigelb und Zitronensaft in der einen und ein Tellerchen in der anderen Hand, um damit etwaige Tropfen aufzufangen.
    Cavalier Cantoni schlürfte sichtlich zufrieden sein Eigelb und wandte sich dann mit einem triumphierenden Lächeln an seine Schwiegertochter: »Das ist mein Lebenselixier – nur falls hier jemand hofft, die Leitung der Armaturenfabrik übernehmen zu können.«
    Léonie lächelte, ohne auf die Provokation einzugehen.
    Seit vier Jahren war sie inzwischen Vizepräsidentin des Familienunternehmens. Der Cavaliere hatte damals seinen zweiten Infarkt gehabt, und die Ärzte meinten, dass er nicht mehr in der Lage sei, die Firma zu leiten. Monate vergingen, bis er sich wieder erholt hatte, und in seiner Abwesenheit hatte Léonie die Fabrik mit sicherer Hand und großer Professionalität geleitet. Renzo Cantoni hatte ihre Leistung anerkannt, indem er sie zur Vizepräsidentin ernannte, allerdings nicht ohne hinzuzufügen: »Vergiss nicht, dass ich der Chef bin, solange ich noch denken kann.«
    Er hatte das bewusst warnend gesagt, war aber in Wahrheit erleichtert gewesen.
    Endlich hatte er einen würdigen Nachfolger gefunden. Unter Léonie würde die Firma auch weiterhin florieren. Der harte, gebieterische Mann mochte und schätzte seine Schwiegertochter, was er allerdings nicht zeigte, um nicht sentimental zu wirken.
    Â»Möchtest du mich heute Morgen in die Fabrik begleiten, p apà? «, fragte Léonie.
    Â»Wieso denn das? Es reicht ja wohl, wenn ich zur Weihnachtsansprache gehe. Außerdem wirst du ohnehin bald aufbrechen, stimmt’s?«, entgegnete er mit einem
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