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Café Eden - Roman mit Rezepten

Titel: Café Eden - Roman mit Rezepten
Autoren: Laura Kalpakian
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TEIL I
    Grüne Göttin
1926

1
    D ie Frauen der Douglasses hatten ein Händchen für Probleme. Sie konnten damit ebenso gut umgehen wie mit Geld und Zeit. Sie fütterten hungrige Mäuler mit Bohnen und einem Schinkenknochen, mit Brotlaiben und Fischen. Sie hantierten mit zehn Pfund schweren Bratpfannen und schleppten Zehn-Gallonen-Fässer. Zu herrschen, zu lenken und wenn nötig zu verteidigen, war ihnen angeboren. Wehe den armen Schluckern, den Gedankenlosen und Undankbaren, den Jammerern und den Schwachen. Wenn man in dieser Familie den Sog der Flut spürte, dann hatte es immer etwas mit den Frauen zu tun; ständig hatten sie jemanden im Schlepptau. Ihre Männer widerstanden ihnen manchmal, manchmal gerieten sie auch auf Abwege, angezogen von schwächeren, nachgiebigeren Frauen, von Religion, Alkohol oder von der Aussicht auf schnellen Reichtum, von großen Obsessionen wie den Zeittafeln von Edens Vater oder großen Katastrophen wie den Western ihres Ehemanns, belastet mit Träumen und Schulden. Manchmal gaben diese Männer auch auf und verabschiedeten sich. Manche versanken in ihrer eigenen Unzufriedenheit. Manche suchten prahlerisch Zuflucht in ihrer Rolle als Patriarch und erklärten, der allmächtige Gott habe ihnen alle Rechte verliehen und Frauen, die ihren Platz kannten, müssten ihnen gehorchen. Die Frauen der Douglasses kannten ihren Platz nie.
    Und deshalb wurde der Direktor der Fourth Street School auch blass, als die kleine Eden Douglass in seinem Büro wegen einer Regelverletzung auf dem Schulhof vor ihm stand und ihn bat, statt ihrer Mutter Kitty lieber ihre Tante, Mrs. Afton Lance, oder ihre Großmutter, Mrs. Ruth Douglass, anzurufen. Mr. Snow erwiderte, er würde anrufen, wen er wollte, zog das Telefon zu sich heran und wählte die Nummer von Miss Moody, der Fernsprechvermittlerin und Klatschtante von St. Elmo.
    Â»Wen rufen Sie denn nun an?«, fragte Eden neugierig. »Meine Tante oder meine Großmutter?«
    Mr. Snow warf ihr einen finsteren Blick zu und fuhr sich rasch mit der Zunge über die Lippen.
    Intuitiv wusste Eden, was Mr. Snow von ihr wollte, und tat so, als breche sie in Tränen aus.
    Da sein Überlegenheitsgefühl gewahrt blieb, sagte Mr. Snow, er würde Afton Lance anrufen. »Geh hinaus, und setz dich im Flur auf den Missetäterstuhl neben der Tür.«
    Mit hängenden Schultern schlurfte Eden hinaus und setzte sich im Gang auf den harten Holzstuhl neben der Bürotür. Langsam drehten sich die Ventilatoren und verbreiteten den Geruch von trockenem Brot aus hundert Pausenbrotdosen, Gummisohlen, verschütteter Milch und ungeputztem Linoleum. In dem hohen Flur war das Licht ausgeschaltet, und die Türen an jedem Ende standen offen, um das Gebäude in der Septemberhitze kühl zu halten. Eden zog ein Knie an die Brust und legte ihr Kinn darauf, eine Haltung, die Mädchen verboten war. Sie kratzte sich an einem Mückenstich durch das Loch in ihrem schwarzen Strumpf. Eden Louise Douglass hatte kurze, glatte Haare, dick, glanzlos, staubig und direkt unter den Ohren ungleichmäßig abgeschnitten. Sie trug ein Baumwollkleid, das schon Bessie und Alma Lance getragen hatten, und dessen Blau und Weiß vom Trocknen in der heißen kalifornischen Sonne gleichermaßen zu Grau verblichen war. Leise summte sie genau die Lieder, die sie in Schwierigkeiten gebracht hatten: »Hot Tamale Molly« und »Keep your skirts down, Mary Ann«. Lieder, die davon handelten, dass man nachts in Zelte kroch, Lieder, die sie auf dem Grammofon zu Hause ständig hörte, Lieder, die 1926 alle sangen.
    Eine Lehrerin hatte gehört, wie Eden auf dem Schulhof gesungen hatte, sie am Ellbogen gepackt und war mit ihr zum Büro des Direktors marschiert. Obwohl die Lehrerin die verbotenen Texte natürlich nicht wiederholen konnte, hatte sie auf deren verderbliche Natur hingewiesen, und Mr. Snow hatte erklärt, man solle Edens Mutter in die Schule bestellen, sie über das Vergehen ihrer Tochter informieren und das Mädchen von der Schule entfernen.
    Aber Kitty Douglass war unzuverlässig, und Eden wusste das. Ihre Reaktion war nicht vorherzusagen. Es konnte sein, dass sie den Direktor auslachte und ihn einen Korinthenkacker nannte, oder wenn sie genügend Bowers Tonic zu sich genommen hatte, dann... Na ja, man wusste es eben nicht. Eden hatte ihn gebeten, ihre Tante oder ihre Großmutter anzurufen, weil sie
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