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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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vorgehen«, verkündete die Frau lächelnd.
    Â»Da bin ich ganz Ihrer Meinung!«, beruhigte Léonie sie.
    Â»Du ahnst ja nicht, was die alles anstellen können! Warte nur, bis deine größer sind, dann wirst du schon sehen!«, ermahnte Roger sie und ging die Treppe zu ihrer Suite hinauf.
    Â»Hast du schon vergessen, wie wir in dem Alter waren?«, fragte Léonie.
    Â»Du hast recht. Ich bin ein alter Griesgram.«
    Von ihren Partnern war nicht mehr die Rede gewesen, aber das Thema lastete schwer auf ihnen. Sie liebten sich, als wäre es das letzte Mal. Danach weinte Léonie, und er, der sie zärtlich umarmte, flüsterte: »Wir werden uns auch weiterhin sehen. Ich möchte dich nicht verlieren, und du willst auch nicht auf mich verzichten müssen.«
    Er trocknete ihre Tränen und wiegte sie wie ein kleines Kind.
    Bei Einbruch der Dunkelheit verließen sie die Suite, und als sie die Treppe hinunterkamen, sahen sie die jungen Leute, die in den Saal strömten, um dort zu feiern. Die Musiker spielten eine Mazurka, und Roger flüsterte Léonie zu: »Wie wär’s, wenn wir mittanzen?«
    Â»Das wollte ich dir auch gerade vorschlagen«, erwiderte Léonie.
    Sie fanden sich auf einem Fest wieder, auf dem sich alle, einschließlich der Musiker, amüsierten. Und so tanzten und tanzten sie und versuchten zu vergessen, dass ihr schöner, heimlicher Traum zu Ende zu gehen drohte.

Villanova heute

1
    W ieder einmal waren die Feiertage ein Anlass, Freunde undVerwandte einzuladen, wobei Guidos und Léonies Geduld auf eine harte Probe gestellt wurde. Aber wie in jedem Jahr fuhren die beiden nach Silvester mit ihren Kindern in die Berge. Und als sie dann nach Villanova zurückkehrten, trafen sie dort nur auf Cavalier Cantoni und seinen Bruder, den Monsignore, die wegen ihres fortgeschrittenen Alters zu Hause geblieben waren. Die beiden Brüder genossen es, zusammen zu sein, was in ihrer Kindheit zu kurz gekommen war. Sie liebten es, in Erinnerungen zu schwelgen, und konnten im Nachhinein über viele schwierige Phasen in ihrem Leben lachen.
    Während sie beim Abendessen saßen, das pünktlich um sieben begann – ein jeder an seinem Tischende –, musterten sie Guido und Léonie, die mit ihren Kindern beide Längsseiten der Tafel einnahmen. Für den Industriellen und den Priester war Guidos Familie eine Art Meisterwerk, wobei sie nicht aufhören konnten, sich zu fragen, was wohl das Geheimnis von so viel Perfektion war. Sie wünschten sich jedenfalls, dass diese Harmonie durch nichts gestört würde.
    Während sie ein Gorgonzola-Risotto und ein golden paniertes Wiener Schnitzel mit Steinpilzragout aßen, unterhielten sich die Erwachsenen über Arbeit, Wirtschaft und Politik, während die von Léonie gut erzogenen Kinder schweigend zuhörten.
    Sie schimpften auf die neue Regierung, die das Blaue vom Himmel versprach und nur Almosen verteilen würde. Sie verachteten die weitverbreitete Akzeptanz von Steuerhinterziehung und ande ren Gesetzesverstößen, die zu Kavaliersdelikten wurden. Sie dachten an das korrekte Verhalten von früher, das in anderen europäischen Ländern überlebt hatte, und sagten Italien eine schwierige Zukunft voraus.
    Â»Regeln, liebe Kinder, sind die Grundvoraussetzung für Zivilisation«, gab der Monsignore seinen Großnichten und -neffen zu denken.
    Â»Ohne Regeln geht es nicht«, erwiderte Cavalier Cantoni.
    Nach der x-ten Wiederholung dieses Themas fragte der kleine Gioacchino: »Gibt es auch eine Regel, die uns sagt, was besser ist: Schokotorte oder Obsttorte mit Zitronencreme?«
    Â»Tais-toi, s’il te plaît!«, herrschte Léonie ihren Zweitgeborenen an.
    Â»Wieso? So unpassend finde ich die Frage gar nicht«, mischte sich Guido ein.
    Gioacchinos Frage entstammte einem Streit mit der Mutter.
    Am Vortag hatte Gioacchino das frühe Aufstehen seines Vaters genutzt, um auf der Suche nach Zärtlichkeit zu Léonie ins Bett zu schlüpfen – etwas, was sie keinem ihrer Kinder verwehrte.
    Während sie warm eingepackt unter der Decke lagen und kuschelten, hatte sie geflüstert: »Bitte, lieber Gott, mach, dass ich nie gezwungen sein werde, mich zu entscheiden.«
    Ohne es zu wollen, hatte sie den Gedanken, die sie seit ihrem letzten Treffen mit Roger quälten, laut Ausdruck verliehen.
    Â»Dass du gezwungen wärst, dich zu entscheiden?«,
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