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Titel: K
Autoren: T McCarthy
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    I
    Dr. Learmont, frisch zugelassener Arzt für die Bezirke West Masedown und New Eliry, schwankt und schaukelt auf dem Vordersitz eines Einspänners, der über den sanft abfallenden Weg auf das Haus Versoie zurollt. Sein Gesäß tut ihm weh: Der Sitz ist hart und nicht gepolstert. Sein Begleiter, Mr Dean vom Lieferdienst Hudson and Dean (Lydium und Umgebung seit 1868), scheint unter keinerlei Unannehmlichkeiten zu leiden. Der glasige Blick ist in eine unbestimmte Ferne gerichtet, die ledrigen Hände, Zügel um die Finger geflochten, schweben dicht über den Knien. Vom hinteren Kutschteil steigt das Klirren von Glasflaschen auf sowie ein mahlendes Geschabe von Kupferdraht an Kupferdraht, Laute, die zusammen mit dem Geräusch über Kies zockelnder, klappernder Pferdehufe unbeirrt in der stillen Septemberluft hängen. Hohe Koniferen, gerade und reglos wie Säulen, überragen das Gefährt. Höher noch und weiter fort schwirren schwarze Vögel lautlos unter konkavem Himmelsgewölbe.
    Mit den Beinen umklammert der Arzt einen braunen Koffer nebst schwarzem Inhalationsapparat. In der Hand hält er einen gelben Zettel. Verwirrt studiert er ihn, so gut er kann. Gelegentlich schaut er auf, um durch den Koniferenvorhang zu blicken, der kurz die Sicht auf gemähten Rasen und einige Reihen Bäume mit weißen Früchten und grünrotem Laub freigibt, sie dann aber gleich wieder verbirgt. Um die Bäume ist Bewegung: Kleine Gliedmaßen recken sich, berühren und
lösen sich voneinander in halb stetigem Rhythmus, so als übten sie Kraul- oder Brustschwimmen.
    Der Einspänner fährt durch tief hängende Holzrauchschwaden, biegt dann ab und lässt die Koniferen hinter sich. Learmont kann jetzt erkennen, dass die Gliedmaßen Kindern gehören, vieren oder fünf, die in irgendein Spiel vertieft sind. Sie stehen in lockerem Kreis, heben die Arme und klatschen in die Hände. Die Lippen bewegen sich, nur dringt kein Laut hervor. Manchmal hallt ein meckerndes Lachen über die Obstwiese, doch lässt sich kaum sagen, von welchem Kind es kommt. Das Lachen klingt auch irgendwie nicht richtig, seltsam verzerrt und schief – fast als käme es von einem Bauchredner oder würde von irgendwoher eingespielt. Keines der Kinder scheint Learmonts Ankunft zu bemerken, ja, keines scheint sich der eigenen Präsenz außerhalb und jenseits des sich bewegenden Kreises bewusst zu sein, so als ginge ihr isoliertes Dasein ganz in der körperbetonten Choreographie vervielfachter, ineinander verschlungener Leiber auf.
    Ohne an den Zügeln zu ziehen oder dem Pferd etwas zuzurufen, bringt Mr Dean den Einspänner zum Stehen. Daneben, rechter Hand, fließt ein schmaler, stiller Bach vor einer hohen Mauer, die, von der anderen Seite her, mit Farn und Glyzinien überwuchert ist. Zur Linken der Kutsche klammert sich ein verästeltes Gebüsch von Rosenstängeln und -zweigen an eine zweite Mauer. Dahinter kommt der Holzrauch hervor, ebenso ein alter Mann mit einem Rechen, der aus einer Tür in der Mauer tritt und eine Karre vor sich her über den Kies schiebt.
    »Hallo! «, ruft Learmont ihm zu. »Hallo?«
    Der alte Mann bleibt stehen, setzt die Schubkarre ab und schaut hinüber zu Learmont.
    »Können Sie mir sagen, wo ich das Haupthaus finde? Den Eingang?«

    Der alte Mann gestikuliert mit der freien Hand: Dort drüben . Dann umfasst er wieder die Griffe der Karre und schlurft an der Kutsche vorbei zur Obstwiese. Learmont lauscht den verklingenden Schritten nach. Schließlich dreht er sich zu Mr Dean um und sagt: »Schweigt wie ein Grab.«
    Mr Dean zuckt die Achseln. Dr. Learmont steigt ab, betritt den Kies, schüttelt die Beine aus und blickt sich um. Der Alte schien hinter die überwucherte Gartenmauer gezeigt zu haben. In der findet sich ebenfalls eine schmale Tür.
    »Warten Sie doch einfach hier«, schlägt er Mr Dean vor. »Ich gehe und suche… «, er hält den gelben Zettel hoch, um ihn erneut zu studieren, »diesen Mr Karrefax.«
    Mr Dean nickt. Dr. Learmont nimmt seinen Koffer sowie den Inhalationsapparat und betritt die kleine Holzbrücke über den burggrabenähnlichen Bach. Dann taucht er mit dem Kopf unter den Glyzinien hindurch, denen es aber gelingt, ihn flüchtig zu streifen, ehe er durch die Türöffnung tritt.
    Im Garten wachsen Margeriten, Iris, Tulpen und Anemonen kunterbunt durcheinander und dicht gedrängt auf beiden Seiten eines Pfads unebener Mosaikfliesen. Learmont folgt ihm bis zu einem von Hecken geformten Durchgang mit einem Spalierdach,
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