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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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würdest«, murmelte er, während sie den Lift verließen, der sie in den ersten Stock gebracht hatte.
    Léonie lächelte und fragte amüsiert: »Soll das eine Aufforderung sein?«
    Â»Im Gegenteil, das ist eine Befürchtung«, sagte er leise und sah ihr in die Augen.
    Â»Sei ganz beruhigt, papà «, erwiderte Léonie und küsste ihn flüchtig auf die Wange.

3
    D ie ganze Familie nahm an der festlich gedeckten Tafel Platz. Draußen fiel lautlos der Schnee.
    Renzo Cantoni und Onkel Gioacchino, die immer älter und besserwisserischer wurden, saßen wie immer an den beiden Tisch enden, während sich Léonie und Guido zwischen ihren Kindern und deren Freunden gegenübersaßen.
    Ihr erstes Enkelkind, die Tochter von Giuseppe und seiner Frau Fiona, war drei Monate alt und schlief unter Aufsicht eines Kindermädchens in seinem Zimmer.
    Es war Heiligabend, und wie immer waren sie nach dem einfachen Mittagessen in den gelben Salon gegangen, wo unter einem riesigen Tannenbaum ein Berg Geschenke auf sie wartete. Cavalier Cantoni murmelte: »Genießt den Überfluss, denn schon nächstes Jahr müssen wir uns vielleicht mit einer Suppe zufriedengeben, die wir mit unserem eigenen Atem aufwärmen müssen.«
    Das sollte als Abwehrzauber dienen, war aber auch der Angst vor der Krise geschuldet, die die ganze Welt erfasst hatte. Italien hatte es wegen des geringen Vertrauens der Menschen in die Politiker und in ihre Fähigkeit, das Land wieder auf den richtigen Kurs zu bringen, besonders schlimm erwischt.
    Der Familienbetrieb hatte dank Renzos und Léonies gutem Gespür noch keine Einbußen zu verzeichnen. Sie hatten in die Qualität ihrer Produkte investiert und neue Kunden in den arabischen Ländern und China gewonnen.
    Als Léonie die Armaturen kontrollierte, die für reiche chinesische Geschäftsleute und arabische Herrscher bestimmt waren, sagte sie seufzend: »Die sind fast schon obszön kostbar!«
    Die Modelle waren vergoldet, aus reinem Edelmetall oder hatten futuristische Formen. Jedes Teil war ein wertvolles Schmuckstück, in das der Name desjenigen eingraviert war, der es montiert und fertiggestellt hatte. Eine Reihe dieser Modelle war im Museum of Modern Art ausgestellt. Dadurch, dass sich die Cantonis auf dem internationalen Luxusmarkt etabliert hatten, konnten sie ihren Angestellten qualifizierte Tätigkeiten und angemessene Gehälter garantieren. Aber auch in Villanova gab es viele Menschen, die bei anderen kleinen und mittelgroßen Firmen beschäftigt waren und nun Kurzarbeit verrichten mussten oder gleich ihre Arbeitsplätze verloren.
    Die trüben Zukunftsaussichten schlugen allen aufs Gemüt.
    Guidos und Léonies Sohn Gioacchino, der in der Londoner City arbeitete und die Geldmärkte Tag für Tag aus nächster Nähe verfolgte, hatte ihnen eine erbarmungslose Zusammenfassung der zukünftigen Wirtschaftslage gegeben.
    Giuseppe, der in einer New Yorker Anwaltskanzlei tätig war, hatte verkündet: »Wir müssen noch ein paar Jahre Geduld haben, dann erholt sich der Markt wieder.«
    Â»Können wir denn nicht wenigstens an Weihnachten aufhören, über die Krise zu reden, und unsere Geschenke genießen?«, entfuhr es Guido, der gerade das Geschenk seiner Tochter Gioia und ihres Verlobten Bertrand ausgepackt hatte: goldene Manschettenknöpfe mit seinen Initialen. Von da an folgte ein Begeisterungsschrei dem anderen, und die Geschwister umarmten und neckten sich.
    Léonie blickte mit Stolz auf ihre wohlgeratenen Kinder, die noch träumen konnten. Ob eines von ihnen wohl eines Tages das Erbe der Armaturenfabrik antreten würde?
    Giuseppe hatte nicht vor, nach Italien zurückzukehren, es sei denn, er merkte irgendwann, wie sehr seine zugeknöpfte blonde Frau ihn an der kurzen Leine hielt und ihm ihre Entscheidungen aufzwang. Gioia lebte in Paris. Sie war in die Fußstapfen ihres Vaters getreten und arbeitete als Journalistin. Gerade machte sie ein Praktikum bei der Zeitschrift ELLE , und ihr Freund arbeitete im Elysée-Palast.
    Léonie setzte nicht unbegründete Hoffnungen in Gioacchino und Giacinta.
    Gioacchino war schön wie ein Engel mit seiner athletischen Figur, die aussah wie in Marmor gemeißelt. Kaum war er an Weihnachten nach Villanova zurückgekehrt, war er in die Firma geeilt und hatte sich in ihrem Büro breitgemacht. Dort hatte er sie mit Fragen zur
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