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Bei Anbruch des Tages

Bei Anbruch des Tages

Titel: Bei Anbruch des Tages
Autoren: Sveva Casati Modignani
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liegt ein Grundstück, auf dem man ein schmales Gebäude mit einem Garten errichten könnte. Ich habe schon Pläne zeichnen lassen, einen Kostenvoranschlag eingeholt, die Genehmigungen vorliegen und eine Umfrage unter unseren Angestellten durchgeführt: Die würden sich freuen, wenn sie die Kleinen mit zur Arbeit bringen und in der Mittagspause besuchen könnten. Mal ganz abgesehen davon, dass die Kinderkrippe im Ort deutlich mehr kostet, während wir nur eine symbolische Summe verlangen können. Die Mehrkosten, die das für uns bringt, holen wir durch die erhöhte Produktivität locker wieder rein«, erklärte Léonie in der Hoffnung, dass ihr Schwiegervater seine Zustimmung geben würde.
    Â»Du bist wirklich eine kleine Hexe! Du hast dir den Respekt und die Zuneigung der Angestellten längst erarbeitet, aber das ge nügt dir immer noch nicht. Du willst wohl, dass sie dich verehren!«, rief Renzo amüsiert.
    Â»Ich möchte nur, was du auch möchtest, p apà . Auf jeden Fall habe ich dir meine Idee nun vorgestellt. Jetzt musst du eine Entscheidung treffen.«
    Renzo Cantoni bewunderte die Intelligenz und den Geschäftssinn seiner Schwiegertochter. Er war froh, dass sie das Familienunternehmen fortführen würde. Noch vor ein paar Jahren hatte er befürchtet, die Armaturenfabrik in Ermangelung eines Nachfolgers verkaufen zu müssen, denn Guido, seinen einzigen Sohn, konnte er, was das anging, vergessen. Was für ein Wunder, dass plötzlich diese junge Frau aus der französischen Provinz aufgetaucht war, sich für die Fabrik begeistert, fünf wunderbare Kinder zur Welt gebracht und den Fortbestand der Familie und der Firma Cantoni gesichert hatte. Außerdem entstaubte sie die Armaturen durch ein modernes, fast futuristisches Design.
    Sämtliche Fachzeitschriften, darunter auch die bedeutendsten, widmeten den Modellen aus dem Hause Cantoni seitenlange Artikel mit vielen Fotos. Ihre Produkte wurden immer eleganter und innovativer. Ihre Armaturen waren inzwischen in den wichtigsten Gebäuden und exklusivsten Hotels der Welt zu finden. Léonies Geniestreich hatte darin bestanden, den Elysée-Palast und den Kreml zu beliefern. Vor allem die Russen hatten zuerst nur Armaturen aus massivem Gold gewollt, wie es sie in den arabischen Ländern gab.
    Und nun hatte Léonie dem Schwiegervater etwas vorgeschlagen, das perfekt zum sozialen Engagement der Familie passte, die ein Altersheim und einen Kindergarten mit ausgebildeten Erziehern unterhielt.
    Genau wie sein Vater sagte auch Renzo Cantoni immer wieder: »Wir müssen dafür sorgen, dass man uns unsere Privilegien verzeiht, indem wir den Bedürftigen helfen.«
    Im Laufe der Jahre hatte Renzo gehört, wie sich Unternehmer ihrer Tricks rühmten, mit denen sie ihre Gewinne auf dem Rücken der Arbeiter steigerten. Das galt vor allem für Frauen, die gezwungen wurden, zusammen mit dem Einstellungsvertrag gleich auch eine Kündigung zu unterschreiben: Sollten sie schwanger werden, mussten sie gehen.
    Viele Unternehmen machten eine doppelte Buchführung: eine legale und eine gefälschte, in der sie regelmäßig nur die Hälfte der Arbeiter aufführten – ein perverses System, das die ehrlichen Unternehmer bestrafte und allen nur schadete.
    Wenn Renzo diese Unternehmer kritisierte, sagten einige: »Du bist noch schlauer als wir. Du hast deine Leute so gut im Griff, dass es keiner wagt zu mucksen.«
    Das stimmte, aber auch nur, weil er die Gesetze respektierte und die Angestellten zu einem verantwortungsbewussten Verhalten erzog. Diese Prinzipien waren ihm von seinem Vater, Amilcare Cantoni, überliefert worden, und er hatte nie dagegen verstoßen.
    Nach einem langen Schweigen, das von lautem Donnern betont wurde, sagte Renzo zu Léonie: »Ich schaue mir den Kostenvoranschlag für dieses Projekt gerne näher an.« Er erhob sich aus seinem Sessel. »Aber jetzt gehe ich erst mal schlafen.«
    Â»Ich auch«, erwiderte sie und folgte ihm.
    Als sie am Klavier vorbeikamen, das seiner Frau gehört hatte, strich Renzo zärtlich über die Tasten und flüsterte: »Mir fehlt die Contessa. Ich kann nicht verstehen, warum du und dein Mann nur so wenig Zeit miteinander verbringt. Nur, weil er sich diesen verrückten Beruf in den Kopf gesetzt hat, der ihn an Rom bindet. Wer weiß, warum? Er hätte es verdient, wenn du dir einen Liebhaber suchen
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